Bienenfresser ziehen mit Rucksäckchen in den Süden

Eine kleine Gruppe von Bienenfressern formiert sich und jagt in der Luft gemeinsam Grossinsekten. Und das notabene auf dem Weg ins Winterquartier in Afrika. Dank kleinster Elektronik ist es heute möglich, anhand von Luftdruck-, Licht- und Beschleunigungssensoren ebendiese Art detaillierter Vogelzugforschung zu betreiben. Zu Besuch bei ForscherInnen der Schweizerischen Vogelwarte in Sempach.

Sebastian Bächler, Luisa Morell und Rahel Kern | 03.03.2021

Foto Bienenfresser von Richard Constatinoff auf i-Stock

Titelillustration von Rahel Kern

Noch bis vor kurzem wusste man über das Zugverhalten von kleinen Vögeln lediglich den ungefähren Abflugzeitpunkt, die grobe Flugroute, vielleicht den Ort des Winterquartiers im Süden und das Eintreffen der Rückkehrer zu Beginn unseres heimischen Frühlings. Die heutige Zugvogelforschung möchte die Lücken dazwischen nun schliessen. Welche Route fliegen die Zugvögel genau? Wie viele Stopps tätigen sie während der Reise und wo? Wo und wann sind sie den grössten Gefahren ausgesetzt?

Durch die Jahreszeiten, der Nahrung nach

Der Zug ist für Vögel eine Überlebensstrategie, um Zeiten mit Nahrungsknappheit zu umgehen. „Er birgt für die Zugvögel allerdings auch viele Risiken und ist äusserst energieaufwändig“, sagt Silke Bauer, Biologin und Forscherin an der Schweizerischen Vogelwarte im luzernischen Sempach. Schätzungsweise 50 Milliarden Vögel machen sich weltweit jährlich auf den Weg in ihre Winterquartiere. Mit dabei sind grosse Vögel wie zum Beispiel Gänse, aber auch kleinere Exemplare wie die in der Schweiz brütende Nachtigall.

„Die Schweizerische Vogelwarte Sempach konnte kürzlich aufzeigen, dass der Bienenfresser mit den immer gleichen Vogel-Freunden in den Süden zieht.“

Viele Vogelarten wählen meist Zugrouten mit für sie günstigen Windverhältnissen, sprich Rückenwind. Grosse Vögel, wie beispielsweise Störche oder Greifvögel, setzen zudem auf möglichst viel Thermik. Thermik findet man wenig bis gar nicht über Gewässern. Eine Hauptroute von Europa nach Afrika führt daher über Gibraltar. Eine andere, ebenfalls beliebte Route verläuft im Osten und führt über die Türkei und Israel. Nebst Wind und Thermik hat auch die Verfügbarkeit geeigneter Rastplätze Einfluss auf die Flugroute.

INFOBOX: Methoden zur Einzelverfolgung von Vögeln
Beringung
Die wohl bekannteste und älteste Methode der Einzelverfolgung von Zugvögeln, bei welcher der Vogel mit einem nummerierten Metallring ausgestattet wird. Informationen erhält man in erster Linie durch Zufall, wenn der Vogel tot aufgefunden, irgendwo beobachtet oder im Rahmen der Zugvogelforschung wieder eingefangen wird. Die örtlichen Informationen sind rudimentär und beschränken sich auf den Beringungsort und den Ort des Wiederfundes.
Satellitentelemetrie
Individuelle Sendeeinheit pro Vogel. Dieses Signal kann von Satelliten während den Überflügen empfangen und an die Bodenstation weitergeleitet werden, was eine Rückverfolgung in nahezu Echtzeit ermöglicht. Die Ausrüstung ist aufgrund des erforderlichen Energiebedarfs der Sender und der dafür benötigten Batterien relativ schwer, weswegen die Methode für Kleinvögel nicht geeignet ist.
Link Argos-Satelliten-Service
Geolokalisierung
Multisensor-Logger sind leicht und können daher auch bei kleinen Vögeln verwendet werden. Sie zeichnen verschiedenste Daten auf, senden aber nicht. Die Daten können nur ausgelesen werden, wenn durch Wiedereinfangen des Vogels der Multisensor-Logger zurückgewonnen wird.

Sinn und Zweck der Zugvogelforschung ist nicht einzig das Analysieren des Zugverhaltens einer bestimmten Art. So suchen die ForscherInnen zum Beispiel auch nach Gesetzmässigkeiten des Vogelzugs über verschiedene Vogelarten hinweg. Der Forschungsansatz geht heute sogar so weit, dass auch das Migrationsverhalten anderer Tierarten mit in die Forschung einfliesst. So können grössere Zusammenhänge innerhalb von Ökosystemen aufgezeigt werden. Im Nachgang lassen sich dann im Idealfall auch Schlussfolgerungen zum Schutz einzelner Zugvogelarten ableiten.

Bienenfresser in der Schweiz, Stefan Wassmer

„Ergänzend zur individuellen Zugvogelortung wird zurzeit versucht, mit der Infrastruktur bereits bestehender Wetter-Radaranlagen verschiedenster Länder die Biomasse ziehender Vögel abzuschätzen“, so Silke Bauer. Im Bereich der Einzelverfolgung von Zugvögeln bietet die Geolokalisation mittels Multisensor-Logger aufgrund der fortschreitenden Miniaturisierung der Elektronik spannende Forschungsmöglichkeiten.

INFOBOX: Multisensor-Logger
Ein Multisensor-Datenlogger ist ein elektronisches Bauteil, welches mittels Sensoren verschiedene Umweltparameter wie beispielsweise die Lichtintensität oder die Temperatur messen und aufzeichnen kann. Die Messwerte werden dann meist lokal auf einem Speichermedium (z.B. microSD Card) gespeichert und können später nach dem Auslesen weiterverarbeitet und zur Bestimmung der geographischen Länge und Breite umgerechnet werden.

Eine 1.3 Gramm-Wetterstation auf dem Vogelrücken

Vielleicht besitzen Sie eine Wetterstation Zuhause? Dann können Sie in aller Regel die Aussentemperatur, den Umgebungsdruck und die Windgeschwindigkeit messen. Eventuell auch noch etwas mehr. Jetzt stellen Sie sich diese Wetterstation als kleinen Rucksack vor, circa 0.6 bis 1.3 Gramm schwer und nicht viel grösser als ein Fünfrappenstück. Denn insgesamt soll der Logger nicht mehr als 5 % des Vogelgewichts überschreiten (vgl. eine erwachsene Nachtigall wiegt ca. 20 Gramm). Dieser Logger mit dem Namen GDL3PAM wurde durch das Bundesamt für Umwelt BAFU finanziert und unter der Ägide der Berner Fachhochschule BFH, Abteilung Technik und Informatik, in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Vogelwarte Sempach entwickelt.

Logger Grössenvergleich, Schweizerische Vogelwarte

Der GDL3PAM ist in der Lage, die Zeit, die Lichtintensität der Umgebung, die Umgebungstemperatur, den Luftdruck, die Beschleunigungen in allen drei Achsen X, Y und Z sowie die Veränderungen des Erdmagnetfelds aufzuzeichnen. Ein weiteres Ziel der Entwicklung war es, dass die Energieversorgung des Loggers genügt, um einen ganzen Jahreszyklus vom Brutplatz über den Vogelzug ins Winterquartier und zurück aufzeichnen zu können.

Ein weiterer, bereits geplanter Entwicklungsschritt ist der Einbau eines Signals, das ermöglicht, zu bestimmen, wann und wo ein Vogel gestorben ist. Zudem wird zurzeit daran gearbeitet, die bereits vorhandenen Daten des Erdmagnetfeldes zur Verbesserung der Positionsbestimmung mit einzubeziehen. Auch sollen die gesammelten Daten der Beschleunigungs-, Luftdruck- und Lichtsensoren in zukünftigen Analysen noch umfassender ausgewertet werden. Zum Beispiel, um Rückschlüsse über die Anzahl Flügelschläge, die Ermittlung des Energieverbrauchs sowie über die Zeiten der Nahrungsaufnahme zu gewinnen. Doch wie kann denn nun überhaupt die Position eines Vogels nur anhand einer Lichtmessung durchgeführt werden?

INFOBOX: Der Bienenfresser
Der farbenprächtige, elegante und wärmeliebende Bienenfresser ist der einzige europäische Vertreter einer weitgehend auf die Tropen und Subtropen Afrikas und Asiens beschränkten Vogelfamilie. Früher zeigte sich der Bienenfresser nur unregelmässig bei uns, hauptsächlich infolge Zugverlängerung im Frühjahr. Mittlerweile brütet dieses fliegende Juwel regelmässig in der Schweiz. Als stark spezialisierte Grossinsektenjäger haben die Vögel immer wieder Vorstösse aus dem ursprünglichen Brutgebiet im Mittelmeerraum gegen Norden unternommen. (Quelle: Schweizerische Vogelwarte Sempach)
Länge: 27-29 cm
Spannweite: 44-49 cm
Gewicht: 45-75 g
Bruthabitat: Kiesgruben, Steilufer von Fliessgewässern
Zugverhalten: Langstreckenzieher
Winterquartier: Afrika südlich der Sahara
Bestand Schweiz: 53-72 Paare (vor allem Westschweiz und Wallis)
Stimme: Link

Positionsbestimmung mittels Lichtintensität

Der Multisensor-Logger misst die Intensität des Umgebungslichts. Da sich der Logger aber unterhalb der Federn auf dem Rücken des Bienenfressers befindet, muss das Umgebungslicht über ein einem Periskop ähnelnden Lichtleiter zum Sensor geleitet werden. Zusammen mit der aufgezeichneten Uhrzeit können die ForscherInnen um Silke Bauer damit den Sonnenuntergangs- und Sonnenaufgangszeitpunkt ermitteln. Daraus kann wiederum die Tageslänge berechnet werden. Mit diesen Daten können anschliessend die geographische Länge und Breite berechnet und somit der relativ genaue Standort des Vogels bestimmt werden.

Der Fehler bei dieser Positionsermittlungs-Methode liegt aufgrund von Witterungseinflüssen wie Wolken und anderen Störfaktoren wie z.B. Waldschatten bei rund 100 bis 200 Kilometer. Gemessen an der Zugdistanz von mehreren Tausend Kilometern pro Strecke ist der Fehler überschaubar und liegt gemittelt im Bereich von unter 5 %.

Multisensorlogger / Ortung, WIBLO-Grafik, Luisa Morell

Ein Bienenfresser mit Rucksäckchen

Um einen Vogel mit einem Logger auszustatten, ist eine Genehmigung durch das kantonale Veterinäramt nötig. Im Brutgebiet werden einzelne Vögel kurzzeitig gefangen und mit dem Logger ausgestattet. Der Multisensor-Logger wird mittels eines kleinen Gestältchens aus Silikon an den Beinen, auf dem Rücken zwischen den Flügeln und unter den Federn des Vogels angebracht. Um die Daten auszulesen muss der Vogel wiedergefangen werden. Gemäss Martina Schybli, Mediensprecherin der Vogelwarte Sempach, liegt die Rücklaufquote der Logger im Bereich von 30 Prozent. Wird ein mit dem Logger bestückter Bienenfresser nicht erneut gefangen, so löst sich das Rucksäckchen nach einer gewissen Zeit durch gezielte Materialalterung und Witterungseinflüsse von selbst ab. Durch die fortschreitende Miniaturisierung von Batterien rückt ein Multisensor-Logger mit integriertem Sender bei gleichbleibendem Gesamtgewicht in greifbare Nähe. Dann müssten die Vögel zum Auslesen der Daten auch nicht wieder eingefangen werden.

Und welchen Einfluss hat der Logger nun auf die damit bestückten Vögel? Ist der Vogel mit dem montierten Logger jetzt zwingend der letzte im Vogelzug? Silke Bauer verneint und meint, dass Untersuchungen gezeigt hätten, dass Logger mit einem Gewicht von maximal 5 % des Vogelgewichts keinen signifikanten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Zugvögel haben. Dies konnte anhand von Auswertungen von Kontrollgruppen desselben Schwarms, aber auch über viele Arten hinweg bestätigt werden (Metaanalyse). Die aufgezeichneten Daten der Multisensor-Logger sind für die ForscherInnen eine wahre Fundgrube und lassen neue Erkenntnisse über das Verhalten während des Vogelzugs und im Winterquartier zu.

INFOBOX: Schweizerische Vogelwarte Sempach
Die Schweizerische Vogelwarte Sempach ist eine gemeinnützige Stiftung für Vogelkunde und Vogelschutz. Sie überwacht die einheimische Vogelwelt, erforscht ihre Lebensweise und setzt sich für die bedrohte Vogelwelt ein. Sie kümmert sich um verletzte und verwaiste Vögel, informiert und berät die Bevölkerung und betreibt in Sempach ein Besuchszentrum.

Ableitung des Sozialverhaltens aus Multisensor-Daten

Steigt ein Bienenfresser kurzfristig aus der Reiseflughöhe auf, oder sinkt zum Finden von Insekten kurzzeitig tiefer ab, so wird der abfallende oder zunehmende Umgebungsdruck im Logger registriert. Anhand der Auswertung von GDL3PAM-Multisensor-Daten einzelner Bienenfresser konnte die Schweizerische Vogelwarte kürzlich aufzeigen, dass der Bienenfresser mit den immer gleichen Vogel-Freunden in den Süden zieht, mit ihnen zusammen auf Insektenjagd geht und grösstenteils auch wieder mit denselben Vögeln zurück ins Brutgebiet fliegt. Gemäss aktuellen Analysen fliegen Bienenfresser gerne in Gruppen von vier bis fünf Individuen und sind keine Einzelgänger.

Bienenfresser, Foto von Schwoaze auf Pixabay

Das Winterquartier und der Klimawandel

Vor allem Langstreckenzieher haben zurzeit das Problem des sich rasch verändernden Klimas. Sie treten ihre Rückkehr aus Afrika normalerweise immer zur gleichen Zeit an, damit sie zur Zeit der höchsten Nahrungsverfügbarkeit in Europa ankommen. Nun ist aber oft der Frühling bei ihrer Ankunft bereits weit fortgeschritten und der Nahrungspeak vielleicht bereits vorbei. Besonders während der Aufzucht der Jungen, wenn viel Futter benötigt wird, kann sich dies negativ auswirken. Deshalb, aber auch aufgrund von Lebensraumveränderungen in den Brutgebieten nehmen die Bestände vieler Langstreckenzieher zurzeit ab. Der Bienenfresser als wärmeliebende Art breitet sein Brutgebiet in den letzten Jahren jedoch vermehrt nach Norden aus.

Es lohnt sich also, im kommenden Frühling Ausschau zu halten. Denn es muss sich nicht immer um einen ausgebüxten Kanarienvogel handeln, wenn in der Schweiz einmal ein Vogel mit exotischen Farben am Himmel fliegt.

Foto Bienenfresser von Richard Constatinoff auf i-Stock

Titelillustration von Rahel Kern

Noch bis vor kurzem wusste man über das Zugverhalten von kleinen Vögeln lediglich den ungefähren Abflugzeitpunkt, die grobe Flugroute, vielleicht den Ort des Winterquartiers im Süden und das Eintreffen der Rückkehrer zu Beginn unseres heimischen Frühlings. Die heutige Zugvogelforschung möchte die Lücken dazwischen nun schliessen. Welche Route fliegen die Zugvögel genau? Wie viele Stopps tätigen sie während der Reise und wo? Wo und wann sind sie den grössten Gefahren ausgesetzt?

Durch die Jahreszeiten, der Nahrung nach

Der Zug ist für Vögel eine Überlebensstrategie, um Zeiten mit Nahrungsknappheit zu umgehen. „Er birgt für die Zugvögel allerdings auch viele Risiken und ist äusserst energieaufwändig“, sagt Silke Bauer, Biologin und Forscherin an der Schweizerischen Vogelwarte im luzernischen Sempach. Schätzungsweise 50 Milliarden Vögel machen sich weltweit jährlich auf den Weg in ihre Winterquartiere. Mit dabei sind grosse Vögel wie zum Beispiel Gänse, aber auch kleinere Exemplare wie die in der Schweiz brütende Nachtigall.

„Die Schweizerische Vogelwarte Sempach konnte kürzlich aufzeigen, dass der Bienenfresser mit den immer gleichen Vogel-Freunden in den Süden zieht.“

Viele Vogelarten wählen meist Zugrouten mit für sie günstigen Windverhältnissen, sprich Rückenwind. Grosse Vögel, wie beispielsweise Störche oder Greifvögel, setzen zudem auf möglichst viel Thermik. Thermik findet man wenig bis gar nicht über Gewässern. Eine Hauptroute von Europa nach Afrika führt daher über Gibraltar. Eine andere, ebenfalls beliebte Route verläuft im Osten und führt über die Türkei und Israel. Nebst Wind und Thermik hat auch die Verfügbarkeit geeigneter Rastplätze Einfluss auf die Flugroute.

INFOBOX: Methoden zur Einzelverfolgung von Vögeln
Beringung
Die wohl bekannteste und älteste Methode der Einzelverfolgung von Zugvögeln, bei welcher der Vogel mit einem nummerierten Metallring ausgestattet wird. Informationen erhält man in erster Linie durch Zufall, wenn der Vogel tot aufgefunden, irgendwo beobachtet oder im Rahmen der Zugvogelforschung wieder eingefangen wird. Die örtlichen Informationen sind rudimentär und beschränken sich auf den Beringungsort und den Ort des Wiederfundes.
Satellitentelemetrie
Individuelle Sendeeinheit pro Vogel. Dieses Signal kann von Satelliten während den Überflügen empfangen und an die Bodenstation weitergeleitet werden, was eine Rückverfolgung in nahezu Echtzeit ermöglicht. Die Ausrüstung ist aufgrund des erforderlichen Energiebedarfs der Sender und der dafür benötigten Batterien relativ schwer, weswegen die Methode für Kleinvögel nicht geeignet ist.
Link Argos-Satelliten-Service
Geolokalisierung
Multisensor-Logger sind leicht und können daher auch bei kleinen Vögeln verwendet werden. Sie zeichnen verschiedenste Daten auf, senden aber nicht. Die Daten können nur ausgelesen werden, wenn durch Wiedereinfangen des Vogels der Multisensor-Logger zurückgewonnen wird.

Sinn und Zweck der Zugvogelforschung ist nicht einzig das Analysieren des Zugverhaltens einer bestimmten Art. So suchen die ForscherInnen zum Beispiel auch nach Gesetzmässigkeiten des Vogelzugs über verschiedene Vogelarten hinweg. Der Forschungsansatz geht heute sogar so weit, dass auch das Migrationsverhalten anderer Tierarten mit in die Forschung einfliesst. So können grössere Zusammenhänge innerhalb von Ökosystemen aufgezeigt werden. Im Nachgang lassen sich dann im Idealfall auch Schlussfolgerungen zum Schutz einzelner Zugvogelarten ableiten.

Bienenfresser in der Schweiz, Stefan Wassmer

„Ergänzend zur individuellen Zugvogelortung wird zurzeit versucht, mit der Infrastruktur bereits bestehender Wetter-Radaranlagen verschiedenster Länder die Biomasse ziehender Vögel abzuschätzen“, so Silke Bauer. Im Bereich der Einzelverfolgung von Zugvögeln bietet die Geolokalisation mittels Multisensor-Logger aufgrund der fortschreitenden Miniaturisierung der Elektronik spannende Forschungsmöglichkeiten.

INFOBOX: Multisensor-Logger
Ein Multisensor-Datenlogger ist ein elektronisches Bauteil, welches mittels Sensoren verschiedene Umweltparameter wie beispielsweise die Lichtintensität oder die Temperatur messen und aufzeichnen kann. Die Messwerte werden dann meist lokal auf einem Speichermedium (z.B. microSD Card) gespeichert und können später nach dem Auslesen weiterverarbeitet und zur Bestimmung der geographischen Länge und Breite umgerechnet werden.

Eine 1.3 Gramm-Wetterstation auf dem Vogelrücken

Vielleicht besitzen Sie eine Wetterstation Zuhause? Dann können Sie in aller Regel die Aussentemperatur, den Umgebungsdruck und die Windgeschwindigkeit messen. Eventuell auch noch etwas mehr. Jetzt stellen Sie sich diese Wetterstation als kleinen Rucksack vor, circa 0.6 bis 1.3 Gramm schwer und nicht viel grösser als ein Fünfrappenstück. Denn insgesamt soll der Logger nicht mehr als 5 % des Vogelgewichts überschreiten (vgl. eine erwachsene Nachtigall wiegt ca. 20 Gramm). Dieser Logger mit dem Namen GDL3PAM wurde durch das Bundesamt für Umwelt BAFU finanziert und unter der Ägide der Berner Fachhochschule BFH, Abteilung Technik und Informatik, in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Vogelwarte Sempach entwickelt.

Logger Grössenvergleich, Schweizerische Vogelwarte

Der GDL3PAM ist in der Lage, die Zeit, die Lichtintensität der Umgebung, die Umgebungstemperatur, den Luftdruck, die Beschleunigungen in allen drei Achsen X, Y und Z sowie die Veränderungen des Erdmagnetfelds aufzuzeichnen. Ein weiteres Ziel der Entwicklung war es, dass die Energieversorgung des Loggers genügt, um einen ganzen Jahreszyklus vom Brutplatz über den Vogelzug ins Winterquartier und zurück aufzeichnen zu können.

Ein weiterer, bereits geplanter Entwicklungsschritt ist der Einbau eines Signals, das ermöglicht, zu bestimmen, wann und wo ein Vogel gestorben ist. Zudem wird zurzeit daran gearbeitet, die bereits vorhandenen Daten des Erdmagnetfeldes zur Verbesserung der Positionsbestimmung mit einzubeziehen. Auch sollen die gesammelten Daten der Beschleunigungs-, Luftdruck- und Lichtsensoren in zukünftigen Analysen noch umfassender ausgewertet werden. Zum Beispiel, um Rückschlüsse über die Anzahl Flügelschläge, die Ermittlung des Energieverbrauchs sowie über die Zeiten der Nahrungsaufnahme zu gewinnen. Doch wie kann denn nun überhaupt die Position eines Vogels nur anhand einer Lichtmessung durchgeführt werden?

INFOBOX: Der Bienenfresser
Der farbenprächtige, elegante und wärmeliebende Bienenfresser ist der einzige europäische Vertreter einer weitgehend auf die Tropen und Subtropen Afrikas und Asiens beschränkten Vogelfamilie. Früher zeigte sich der Bienenfresser nur unregelmässig bei uns, hauptsächlich infolge Zugverlängerung im Frühjahr. Mittlerweile brütet dieses fliegende Juwel regelmässig in der Schweiz. Als stark spezialisierte Grossinsektenjäger haben die Vögel immer wieder Vorstösse aus dem ursprünglichen Brutgebiet im Mittelmeerraum gegen Norden unternommen. (Quelle: Schweizerische Vogelwarte Sempach)
Länge: 27-29 cm
Spannweite: 44-49 cm
Gewicht: 45-75 g
Bruthabitat: Kiesgruben, Steilufer von Fliessgewässern
Zugverhalten: Langstreckenzieher
Winterquartier: Afrika südlich der Sahara
Bestand Schweiz: 53-72 Paare (vor allem Westschweiz und Wallis)
Stimme: Link

Positionsbestimmung mittels Lichtintensität

Der Multisensor-Logger misst die Intensität des Umgebungslichts. Da sich der Logger aber unterhalb der Federn auf dem Rücken des Bienenfressers befindet, muss das Umgebungslicht über ein einem Periskop ähnelnden Lichtleiter zum Sensor geleitet werden. Zusammen mit der aufgezeichneten Uhrzeit können die ForscherInnen um Silke Bauer damit den Sonnenuntergangs- und Sonnenaufgangszeitpunkt ermitteln. Daraus kann wiederum die Tageslänge berechnet werden. Mit diesen Daten können anschliessend die geographische Länge und Breite berechnet und somit der relativ genaue Standort des Vogels bestimmt werden.

Der Fehler bei dieser Positionsermittlungs-Methode liegt aufgrund von Witterungseinflüssen wie Wolken und anderen Störfaktoren wie z.B. Waldschatten bei rund 100 bis 200 Kilometer. Gemessen an der Zugdistanz von mehreren Tausend Kilometern pro Strecke ist der Fehler überschaubar und liegt gemittelt im Bereich von unter 5 %.

Ein Bienenfresser mit Rucksäckchen

Um einen Vogel mit einem Logger auszustatten, ist eine Genehmigung durch das kantonale Veterinäramt nötig. Im Brutgebiet werden einzelne Vögel kurzzeitig gefangen und mit dem Logger ausgestattet. Der Multisensor-Logger wird mittels eines kleinen Gestältchens aus Silikon an den Beinen, auf dem Rücken zwischen den Flügeln und unter den Federn des Vogels angebracht. Um die Daten auszulesen muss der Vogel wiedergefangen werden. Gemäss Martina Schybli, Mediensprecherin der Vogelwarte Sempach, liegt die Rücklaufquote der Logger im Bereich von 30 Prozent. Wird ein mit dem Logger bestückter Bienenfresser nicht erneut gefangen, so löst sich das Rucksäckchen nach einer gewissen Zeit durch gezielte Materialalterung und Witterungseinflüsse von selbst ab. Durch die fortschreitende Miniaturisierung von Batterien rückt ein Multisensor-Logger mit integriertem Sender bei gleichbleibendem Gesamtgewicht in greifbare Nähe. Dann müssten die Vögel zum Auslesen der Daten auch nicht wieder eingefangen werden.

Und welchen Einfluss hat der Logger nun auf die damit bestückten Vögel? Ist der Vogel mit dem montierten Logger jetzt zwingend der letzte im Vogelzug? Silke Bauer verneint und meint, dass Untersuchungen gezeigt hätten, dass Logger mit einem Gewicht von maximal 5 % des Vogelgewichts keinen signifikanten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Zugvögel haben. Dies konnte anhand von Auswertungen von Kontrollgruppen desselben Schwarms, aber auch über viele Arten hinweg bestätigt werden (Metaanalyse). Die aufgezeichneten Daten der Multisensor-Logger sind für die ForscherInnen eine wahre Fundgrube und lassen neue Erkenntnisse über das Verhalten während des Vogelzugs und im Winterquartier zu.

INFOBOX: Schweizerische Vogelwarte Sempach
Die Schweizerische Vogelwarte Sempach ist eine gemeinnützige Stiftung für Vogelkunde und Vogelschutz. Sie überwacht die einheimische Vogelwelt, erforscht ihre Lebensweise und setzt sich für die bedrohte Vogelwelt ein. Sie kümmert sich um verletzte und verwaiste Vögel, informiert und berät die Bevölkerung und betreibt in Sempach ein Besuchszentrum.

Ableitung des Sozialverhaltens aus Multisensor-Daten

Steigt ein Bienenfresser kurzfristig aus der Reiseflughöhe auf, oder sinkt zum Finden von Insekten kurzzeitig tiefer ab, so wird der abfallende oder zunehmende Umgebungsdruck im Logger registriert. Anhand der Auswertung von GDL3PAM-Multisensor-Daten einzelner Bienenfresser konnte die Schweizerische Vogelwarte kürzlich aufzeigen, dass der Bienenfresser mit den immer gleichen Vogel-Freunden in den Süden zieht, mit ihnen zusammen auf Insektenjagd geht und grösstenteils auch wieder mit denselben Vögeln zurück ins Brutgebiet fliegt. Gemäss aktuellen Analysen fliegen Bienenfresser gerne in Gruppen von vier bis fünf Individuen und sind keine Einzelgänger.

Bienenfresser, Foto von Schwoaze auf Pixabay

Das Winterquartier und der Klimawandel

Vor allem Langstreckenzieher haben zurzeit das Problem des sich rasch verändernden Klimas. Sie treten ihre Rückkehr aus Afrika normalerweise immer zur gleichen Zeit an, damit sie zur Zeit der höchsten Nahrungsverfügbarkeit in Europa ankommen. Nun ist aber oft der Frühling bei ihrer Ankunft bereits weit fortgeschritten und der Nahrungspeak vielleicht bereits vorbei. Besonders während der Aufzucht der Jungen, wenn viel Futter benötigt wird, kann sich dies negativ auswirken. Deshalb, aber auch aufgrund von Lebensraumveränderungen in den Brutgebieten nehmen die Bestände vieler Langstreckenzieher zurzeit ab. Der Bienenfresser als wärmeliebende Art breitet sein Brutgebiet in den letzten Jahren jedoch vermehrt nach Norden aus.

Es lohnt sich also, im kommenden Frühling Ausschau zu halten. Denn es muss sich nicht immer um einen ausgebüxten Kanarienvogel handeln, wenn in der Schweiz einmal ein Vogel mit exotischen Farben am Himmel fliegt.

Autor

Sebastian Bächler

Illustratorin

Luisa Morell

Illustratorin

Rahel Kern

Expertin Vogelwarte

Silke Bauer

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