Bakterien auf Standby – Zystitis ahoi!
Antibiotikaresistente Bakterien bekamen in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit. Zu Recht – sie zählen zu den grössten Herausforderungen, mit denen wir in Zukunft vermehrt, aber auch schon heute zu kämpfen haben. Resistente Bakterien sind allerdings nicht die alleinigen Übeltäter, wenn es um schwer zu beseitigende Infektionen, wie zum Beispiel einer Blasenentzündung geht. Im Gespräch mit einer Expertin des Universitätsspitals Zürich.
Kim Bodmer | 01.03.2020
Bakterien Symbolbild Foto von CDC auf Unsplash
Leonie* ist Mitte Dreissig, hat eine Blasenentzündung und sitzt im Wartesaal des Universitätsspitals Zürich. Zum dritten Mal in diesem Jahr. Erstmals bemerkbar hat sich das Brennen beim Urinieren vor acht Monaten gemacht. Die Ärzte verschrieben ihr Antibiotika, und nach zwei Wochen war alles wieder gut. Doch nur für eine kurze Zeit, denn bald brannte es erneut, sie unterzog sich abermals einer Behandlung und auch diese schien erfolgreich. Doch jetzt sitzt sie wieder hier und blättert leicht nervös in einem wahllos aufgegriffenen Magazin.
Leonie ist kein Einzelfall. Infektionen, die trotz erfolgreicher Behandlung mit Antibiotika kurz darauf wieder aufflammen, sind für die Ärzte des Universitätsspitals Zürich nichts Neues. Annelies Zinkernagel, Leitende Ärztin an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene erklärt: «Viele Bakterien mit gewissen Eigenschaften können solche hartnäckigen, immer wieder aufflammenden Infektionen verursachen – und ich spreche nicht von antibiotikaresistenten Bakterien. Gegen diese würde eine Antibiotikatherapie nämlich von Beginn an keine Wirkung zeigen.
Infobox Begriffe
Bakterielles Wachstum:
Bakterien sind Einzelzellorganismen, jedes Bakterium besteht aus einer einzigen Zelle. Indem sie sich teilen, vermehren sie sich und geben ihre Gene weiter. Aus einer Zelle werden dabei zwei.
Infektion:
Von einer Infektion spricht man, wenn ein Organismus von Mikroorganismen (Bakterien, Viren, Pilze) besiedelt wird, sich diese vermehren und dadurch Krankheitssymptome auslösen.
Das Kultivieren:
Im biologischen Kontext bedeutet kultivieren das Erzeugen und Aufrechterhalten von Bedingungen, die das Wachstum eines bestimmten Organismus erlauben.
Die Bakterien, mit denen wir es in Leonies Fall zu tun haben, bilden dichte Schleimschichten, sogenannte Biofilme, bestehend aus Millionen von Bakterien. Eine kleine Subpopulation des Biofilms besteht aus Persister-Bakterien. Bei Gefahr treten die Persister in eine Art Schlafzustand, während welchem ihnen nichts passieren kann. Ist die Luft wieder rein, wachen sie auf und beginnen sich zu vermehren. »
Persistenz und Resistenz – der Unterschied
Resistente Bakterien haben einen Weg gefunden, Antibiotika für sich unschädlich zu machen. Beispielsweise indem sie den Wirkstoff inaktivieren oder einfach wieder aus sich herauspumpen. In der Gegenwart von Antibiotika wachsen resistente Bakterien unbeirrt weiter. Diese Fähigkeit geht auf eine Veränderung in ihrer Genetik zurück, also dem Erwerb von Resistenzgenen. Teilt sich ein resistentes Bakterium, kann es das Resistenzgen an seine Nachkommen weitergeben, sodass nach kurzer Zeit die gesamte Population resistent gegen ein bestimmtes Antibiotikum ist.
„Bei Gefahr treten die Persister in eine Art Schlafzustand, während welchem ihnen nichts passieren kann.“
Annelies Zinkernagel, Leitende Ärztin Universitätsspital Zürich
Persister funktionieren in vielerlei Hinsicht anders. Sie machen stets nur einen winzigen Bruchteil einer ganzen Population aus. Ausserdem sind die Nachkommen der Persister bis auf einige wenige Zellen grösstenteils Nicht-Persister. Der primäre Auslöser von Persistenz ist Stress – Nährstoffmangel, Dichtestress, ein zu saures Milieu, die verteidigenden Zellen unseres Immunsystems oder eben auch die Gegenwart von Antibiotika.
Alles, was ihre Existenz bedroht, führt in einem kleinen Bruchteil der Bakterienpopulation, den Persistern, zum Stillstand. Anders als die resistenten Bakterien, wachsen Persister in der Gegenwart von Antibiotika nicht oder nur sehr langsam. Vergleichbar mit einem Winterschlaf, ist alles, was sie dann noch tun, nicht zu sterben.
Im Innern eines Persisters
Sich ohne Resistenzgene von einem Antibiotikum nicht töten zu lassen – wie funktioniert das? Dazu muss man wissen, wie Antibiotika Bakterien Schaden zufügen. Antibiotika zielen darauf ab, überlebenswichtige Zellvorgänge in Bakterien lahmzulegen. Ciprofloxacin zum Beispiel, womit die Ärzte Leonies Blasenentzündung behandelten, verhindert die Produktion von DNA, wodurch die Bakterien absterben und verschwinden. Übrig bleiben die Persister, deren Strategie darin besteht, sämtliche Zellvorgänge inklusive Wachstum herunterzufahren. So machen sie sich unangreifbar für Antibiotika, richten aber gleichzeitig auch keinen Schaden in Leonies Blase an.
Für Leonie und die Ärzte entsteht der Eindruck, die Infektion sei beseitigt, sie beenden die Behandlung. Jetzt erwachen die Persister aus ihrem reglosen Zustand, nehmen ihr Wachstum wieder auf und kurz darauf sitzt Leonie erneut im Wartesaal.
Einzelne Zellen zu untersuchen ist schwierig
Beinahe achtzig Jahre ist es her, als das Phänomen der Persistenz zum ersten Mal beobachtet wurde. Dennoch wissen wir heute vergleichsweise wenig über die molekularen Mechanismen bakterieller Persistenz. Das liegt unter anderem daran, dass Persisterzellen sich nur schwer isolieren und kultivieren lassen – weil sie so wenige sind, sich kaum teilen und ihr Zustand reversibel ist.
Durch den technologischen Fortschritt der letzten fünfzehn Jahre sind Wissenschaftler heute besser im Stande, Persistenz zu erforschen. Und sie sind sich einig: Chronische Infektionen sind ein Problem, dessen Lösung nicht allein in der Entdeckung neuartiger Antibiotika liegt, sondern in der gleichzeitigen Entwicklung von Methoden, um Persister aus ihrem Schlafzustand wecken.
* fiktives Beispiel
Weitere, spannende WIBLO-Artikel findest Du hier
Indem Du unseren Newsletter abonnierst, können wir Dich über neue Artikel in Kenntnis setzen (kein SPAM, versprochen!) Newsletter
Möchtest Du unsere Initiative für objektiven, Schweizer Wissenschaftsjournalismus unterstützen? Vielen Dank!