Die Restauratorin, die der Vergangenheit Leben einhaucht
Das Wichtigste gleich vorweg: In diesem Text geht es nicht um Restaurationsfachfrauen und Gastronomiemänner, die hungrigen Personen energieliefernde Gerichte servieren, sondern um Expertinnen und Spezialisten der Restaurierung, welche den Erhalt von alten Objekten sicherstellen. Meret Bächler gewährt Einblick in den Alltag einer Konservatorin und Restauratorin von altem und wertvollem Schriftgut.
Selin Scherrer und Michael Gehrig | 11.10.2021
Meret Bächler bei der Pergament-Reinigung, Foto Michael Baumberger
Wart ihr auch schon in einem Museum und habt euch gefragt, wie die oftmals mehrere Jahrhunderte alten, ausgestellten Objekte in solch gutem Zustand erhalten werden konnten? Natürlich werden diese Fundstücke selten im besten Zustand entdeckt, darum steckt eine Heidenarbeit dahinter, bis die Zeitzeugnisse bereit sind zur Präsentation. Meret Bächler und ihre BerufskollegInnen kümmern sich um zerbrochene, zerrissene, zerknitterte oder verschimmelte Bücher und Urkunden, um deren Leserlichkeit und Verständnis wiederherzustellen.
Pergamenturkunde aus dem Jahr 1481. Links: Urkunde mit Verformungen und beschädigtem Wachssiegel bei Ankunft im Atelier. Rechts: Urkunde nach der Restaurierung durch Meret Bächler.
Vollständige Überlieferung von Informationen aus der Vergangenheit
AuftragsgeberInnen sind vorwiegend Archive, Bibliotheken oder Museen. Selten gibt es auch Aufträge von Privatpersonen, die eine Bibel aus langjährigem Familienbesitz restaurieren wollen. Bei der Wiederherstellung von Objekten handelt es sich um eine Restaurierung und somit um einen direkten Eingriff am Objekt. Andere Objekte werden konserviert, damit deren Zustand erhalten werden kann und später kein direkter Eingriff nötig wird. Dazu gehören Arbeiten wie das Reinigen von Schriftgut, das Entwickeln von geeigneten Aufbewahrungssystemen und dem Schaffen von einem stabilen klimatischen Umfeld für die Lagerung oder Präsentation der Objekte.
Klebstoff auflösen mit Wasserdampf durch Meret Bächler, Foto Michael Baumberger – chicshot.ch
Insbesondere das klimatisch stabile Umfeld ist sehr wichtig für die Lagerung der hygroskopischen Schriften. Hygroskopisches Material nimmt Feuchtigkeit aus der Luft auf und gibt diese wieder ab, sobald die Umgebung trockener wird. Werden Schriften in einem klimatisch instabilen Umfeld gelagert, dehnen sie sich abwechselnd aus und ziehen sich wieder zusammen, was dem Material auf Dauer schadet.
INFOBOX: Bücher aus Pergament
Auch Bücher wurden im Mittelalter aus Pergamentseiten hergestellt. Für die Herstellung eines einzigen grossformatigen Werkes wurden oft Häute von mehreren hundert Schafen, Ziegen oder Kälbern benötig.
Penibel genaues und stabiles Klima
Das empfohlene Lagerungsklima für Archivgut liegt bei 15-20 °C und 45-55 % Luftfeuchtigkeit, bedeutsam für die ideale Lagerung ist jedoch vor allem die Klimastabilität. Schnell wird klar, dass die Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten abwechslungsreich und das dafür geforderte Wissen und Knowhow breit sind. Diese Vielfältigkeit ist es, die die Expertin an ihrer Arbeit schätzt. Oft ist zwar Geduld für lang andauernde und häufig wiederkehrende Aufgaben gefragt, aber die vielen verschiedenen Materialien, mit denen sie arbeitet, die gefragte Kreativität für die Lösung von neuen Problemen und die Mischung von unterschiedlichsten Aufträgen machen ihren Alltag als Restauratorin interessant und vielfältig. Dazu gehören neben Restaurierungs- und Konservierungsarbeiten zum Beispiel auch die Unterstützung von Museen bei deren Ausstellungskonzepten.
Restaurierung eines Wachssiegels durch Meret Bächler, Foto Michael Baumberger – chicshot.ch
Von Geschichte über Ethik bis Chemie
Nach drei Jahren Bachelorstudium war die heutige Inhaberin des Ateliers Schriftgut-Restaurierung befähigt, als Konservatorin zu arbeiten und präventive Arbeiten auszuüben. Erst nach den zusätzlichen zwei Jahren Masterstudium besass sie sämtliche Fähigkeiten, um als Restaurierungsfachfrau zu arbeiten und durfte daraufhin auch Eingriffe an Objekten durchführen. Vorlesungen zu den Themen Materialwissenschaften und Chemie sowie handwerkliche Praktika und Ethikseminare standen im Zentrum der Ausbildung an der Berner Fachhochschule. Die ethischen Grundsätze stellen die Geschichte des Objekts ins Zentrum und prägen den Alltag von perfektionistischen Restauratorinnen und Restauratoren.
INFOBOX: „Das geht auf keine Kuhhaut!“
Im Mittelalter glaubten die Menschen, dass der Teufel eine Liste mit den Sünden jedes einzelnen Menschen auf Pergament, also Tierhaut, notiert. Die Pergamenthäute von Ziegen und Schafen sind eher klein, jene von Kühen eher gross. Folglich muss es sich um einen sehr sündhaften Menschen handeln, wenn die Liste kaum noch auf einer Kuhhaut Platz hat…
Eingriff muss sichtbar sein
Bei Restaurierungen geht es nämlich nicht darum, den perfekt passenden Farbton für den fehlenden Teil einer Urkunde zu mischen. Perfekt in diesem Fall ist ein Farbton, der einen Tick dunkler oder heller ist, damit bei genauem Hinschauen der Eingriff am Originalobjekt ersichtlich ist. Zudem ist es wichtig, dass die für die Restaurierung verwendeten Materialen alterungsbeständig und die durchgeführten Eingriffe wann immer möglich reversibel sind, das heisst ohne Schaden am Original wieder rückgängig gemacht werden können.
Was passiert mit einer Pergamenturkunde nach Eintreffen im Atelier?
Pergament ist Tierhaut, die im Gegensatz zu Leder nicht gegerbt, sondern zur Entfernung der Haare in Kalklauge behandelt, und danach im nassen Zustand gespannt und an der Luft getrocknet wurde. Pergament stellte in Europa zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert das primäre Beschreibmaterial dar, bevor es von Papier abgelöst wurde.
Links: Gefaltet aufbewahrte Pergamenturkunden. Rechts: Gerollt aufbewahrte Pergamenturkunden. Foto Meret Bächler
Bei Ankunft der Urkunden im Atelier wird als Erstes der Vorzustand beurteilt. Das Hauptproblem bei Pergamenturkunden ist oftmals, dass sie gefaltet oder gerollt aufbewahrt wurden und sich nur schwer öffnen lassen. Das Material hat sich an die Lagerungsform gewöhnt und rollt oder faltet sich nach dem Öffnen gleich wieder von selbst in die Lagerungsposition zurück.
Schadensbild 1: Links: Urkunde mit Frassspuren von einem Nagetier. Rechts: Dieselbe Urkunde nach dem Planlegen und der Restaurierung der Frassspuren mit neuem Pergament. Foto Meret Bächler
Weitere Schadensbilder bei Urkunden sind Verunreinigungen, Schimmel, Risse, durch Nagetiere verursachte Fehlstellen (Schadensbild 1), beschädigte Wachssiegel (Schadensbild 2) oder Bleibullen mit Bleicarbonat-Beschlag (Schadensbild 3).
Schadensbild 2: Links: Wachssiegel aus dem Jahr 1549 mit Verunreinigungen und einer Fehlstelle oben. Rechts: Das Siegel nach der Reinigung mit Tensid und ergänzt mit neuem Wachs. Bei genauem Hinsehen erkennt man im Nachzustand die unterschiedlichen Farbtöne von Originalsiegel und zugefügtem Material. Foto Meret Bächler
In ihrem Büro mit PC- Arbeitsplatz und Fotografie-Ecke hält die Restaurierungsfachfrau den Vorzustand der Objekte anhand von Fotos und Text genau fest. Für jeden Auftrag wird eine umfangreiche Dokumentation erstellt, worin nach der Beschreibung des Vorzustandes auch laufend die vorgenommenen Arbeitsschritte präzise dokumentiert werden.
Schadensbild 3: Diese Urkunde aus dem Jahr 1247 enthält anstelle eines Wachssiegels, das man am häufigsten antrifft, eine Bleibulle. Links: Vorzustand mit Bleicarbonat Bildung auf der Oberfläche der Bleibulle. Rechts: Die durch elektrolytische Behandlung von Bleicarbonat befreite Urkunde im Nachzustand. Foto Meret Bächler
Im Chemielabor – von Säuren und Basen
Auch ein Chemieraum gehört zum Atelier. Hier werden unterschiedliche Klebstoffe hergestellt und gelagert, verschiedene Farbstoffe gemixt oder Materialien eingefärbt. In diesem Raum geschieht auch ein grosser Teil der Untersuchung nach Ankunft der Urkunden. Mithilfe des Mikroskops kann anhand des Porenbildes der Haut die Tierart des Pergaments identifiziert werden. Die Position auf der Tierhaut wird auf dem Leuchttisch bestimmt, und mit einer UV-Lampe werden die Urkunden nach verblasster Tinte untersucht. Bei der Analyse von Papierobjekten kommt zudem ein Oberflächen-pH-Messgerät zur genauen Bestimmung des pH-Werts des Papiers zum Einsatz. Denn häufig müssen vergilbte Papiere mittels Wasserbehandlung entsäuert und mit einem alkalischen Puffer (Calciumcarbonat) versehen werden.
INFOBOX: „Ein Buch aufschlagen“
Früher wurden für Bücher Holzdeckel verwendet, die mit Metallhaken versehen wurden. Auf diese Weise konnte das Buch geschlossen werden. Um diese Haken zu öffnen, musste man das Buch zusammendrücken – oder eben das Buch auf den Tisch legen und auf den Buchdeckel schlagen, die Haken sprangen von selbst auf und man konnte das wortwörtlich aufgeschlagene Buch zu lesen beginnen.
Der Schmutzraum – unentbehrlich und meditativ
Ein weiterer kleiner Raum schliesst sich dem Chemieraum an. Die abtrennende Tür kann dicht geschlossen werden, damit sich der Staub und Schmutz nicht im ganzen Atelier ausbreitet – denn hier wird gereinigt. Die Schimmelsporen sowie den Staub des Holzschleifens möchte man lieber nicht überall verteilen. Hier reinigt die Schriftgut-Spezialistin die heiklen Pergamenturkunden mit einer weichen Bürste, während hartnäckigere Stellen mithilfe eines Latexschwammes oder Druckluft gesäubert werden.
Die Wachssiegel werden trocken mit Pinsel oder bei starker Verschmutzung mit Tensid gereinigt (Schadensbild 2). Bleibullen mit Bleicarbonat-Bildung erhalten eine elektrolytische Behandlung (Schadensbild 3). Der Blickfang dieses Raumes ist ein kleiner Staubsaugeraufsatz, der über einem Schreibtisch hängt. Damit kann Meret in einer ihrer dann eher meditativen Tätigkeiten Seite für Seite den Falz von dicken Büchern saugen, und sich zugleich über die unterschiedlichsten mehr oder weniger merkwürdigen oder spannenden Bücher-Inhalte wundern.
Den Jahrhunderte alten Patienten neues Leben einhauchen
Eine grosszügige Werkstatt bildet das Herzstück des Ateliers. Hier werden instabile Fehlstellen und Risse mit neuem Pergament oder mit eingefärbtem Japanpapier und Weizenstärkekleister restauriert (Schadensbild 1). Fehlstellen und Brüche im Wachssiegel werden mit selbst hergestellten Wachsmischungen gefestigt oder ergänzt (Schadensbild 2). Ein langwieriger Prozess ist das Planlegen von gefalteten und gerollten Urkunden. Für ein langfristiges Glätten müssen die Urkunden zuerst im Zedernholzkasten bei etwa 93 % relativer Luftfeuchtigkeit für ca. 48 Stunden befeuchtet werden, bis die Tierhaut weich und elastisch ist.
Verschiedene Wachsmischungen für die Siegelrestaurierung. Foto Michael Baumberger – chicshot.ch
Danach werden die Urkunden auf dem Unterdrucktisch für ungefähr eine Stunde plangelegt, bis man das Pergament trocken und glatt entnehmen kann. Schlussendlich kommen die Urkunden für 3 Monate in die Stockpresse, um eine nachhaltige Formstabilität zu erreichen. Über das Jahr füllen sich diese Pressen zu einem Berg von Urkunden, die mit den herausbaumelnden Siegeln aller Art einen sehr schönen Anblick bieten (siehe Titelbild). Am Ende des Restaurierungsprozesses werden gelegentlich einzelne Urkunden in ein Aufbewahrungsbehältnis montiert, worin sie gelagert oder ausgestellt werden können. Bevor die Urkunden das Atelier wieder verlassen, hält Meret auch den Nachzustandes der Objekte bildlich und textlich in der Dokumentation fest.
INFOBOX: Aktuelles Restaurierungsprojekt „Barbarossa“
Diese Urkunde stammt von Friedrich I., genannt Barbarossa, Kaiser des römisch-deutschen Reiches, der mit dieser Urkunde im Jahre 1153 das Kloster Payerne unter seinen Schutz nahm. Dieses Kloster ist bekannt für seine zahlreiche Fälschungen aus dem 12. Jahrhundert, da die Mönche für neue Rechte kämpften: Zum Beispiel wollten sie ihren eigenen Abt auch selbst wählen können. Die vorgestellte Urkunde ist allerdings echt und wird im Staatsarchiv Fribourg aufbewahrt.
Pergamenturkunde von Friedrich I. aus dem Staatsarchiv Fribourg (StAFR Payerne 4a). Links: Vorzustand des gebrochenen Wachssiegels, das in die Urkunde eingedrückt ist. Rechts: Nachzustand mit durchgedrücktem Wachssiegel nach der Restaurierung. Foto Meret Bächler
Die Pergamenturkunde von Friedrich I. wird aufgrund des durchgedrückten Siegels in einen Klettrahmen gespannt und an der Luft getrocknet.
Bei dieser Urkunde ist das Siegel nicht angehängt, sondern in das Pergament durchgedrückt. Um das Siegel nicht zu beschädigen, wurde die Urkunde nach dem Befeuchten nicht auf dem Unterdrucktisch plangelegt, sondern mit Klammern in einen Klettrahmen gespannt und an der Luft getrocknet, also ähnlich wie damals bei der Herstellung von Pergament. Danach wurde die Urkunde lokal beschwert, statt in der Stockpresse eingepresst. Dies weil das Siegel in diesem Beispiel nicht aus der Presse herauslugen konnte und zerdrückt worden wäre.
Für mehr Informationen verweisen wir gerne auf die Webseite
schriftgut-restaurierung.ch von Meret Bächler.
Meret Bächler bei der Pergament-Reinigung, Foto Michael Baumberger
Wart ihr auch schon in einem Museum und habt euch gefragt, wie die oftmals mehrere Jahrhunderte alten, ausgestellten Objekte in solch gutem Zustand erhalten werden konnten? Natürlich werden diese Fundstücke selten im besten Zustand entdeckt, darum steckt eine Heidenarbeit dahinter, bis die Zeitzeugnisse bereit sind zur Präsentation. Meret Bächler und ihre BerufskollegInnen kümmern sich um zerbrochene, zerrissene, zerknitterte oder verschimmelte Bücher und Urkunden, um deren Leserlichkeit und Verständnis wiederherzustellen.
Pergamenturkunde aus dem Jahr 1481. Links: Urkunde mit Verformungen und beschädigtem Wachssiegel bei Ankunft im Atelier. Rechts: Urkunde nach der Restaurierung durch Meret Bächler.
Vollständige Überlieferung von Informationen aus der Vergangenheit
AuftragsgeberInnen sind vorwiegend Archive, Bibliotheken oder Museen. Selten gibt es auch Aufträge von Privatpersonen, die eine Bibel aus langjährigem Familienbesitz restaurieren wollen. Bei der Wiederherstellung von Objekten handelt es sich um eine Restaurierung und somit um einen direkten Eingriff am Objekt. Andere Objekte werden konserviert, damit deren Zustand erhalten werden kann und später kein direkter Eingriff nötig wird. Dazu gehören Arbeiten wie das Reinigen von Schriftgut, das Entwickeln von geeigneten Aufbewahrungssystemen und dem Schaffen von einem stabilen klimatischen Umfeld für die Lagerung oder Präsentation der Objekte.
Klebstoff auflösen mit Wasserdampf durch Meret Bächler, Foto Michael Baumberger – chicshot.ch
Insbesondere das klimatisch stabile Umfeld ist sehr wichtig für die Lagerung der hygroskopischen Schriften. Hygroskopisches Material nimmt Feuchtigkeit aus der Luft auf und gibt diese wieder ab, sobald die Umgebung trockener wird. Werden Schriften in einem klimatisch instabilen Umfeld gelagert, dehnen sie sich abwechselnd aus und ziehen sich wieder zusammen, was dem Material auf Dauer schadet.
INFOBOX: Bücher aus Pergament
Auch Bücher wurden im Mittelalter aus Pergamentseiten hergestellt. Für die Herstellung eines einzigen grossformatigen Werkes wurden oft Häute von mehreren hundert Schafen, Ziegen oder Kälbern benötig.
Penibel genaues und stabiles Klima
Das empfohlene Lagerungsklima für Archivgut liegt bei 15-20 °C und 45-55 % Luftfeuchtigkeit, bedeutsam für die ideale Lagerung ist jedoch vor allem die Klimastabilität. Schnell wird klar, dass die Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten abwechslungsreich und das dafür geforderte Wissen und Knowhow breit sind. Diese Vielfältigkeit ist es, die die Expertin an ihrer Arbeit schätzt. Oft ist zwar Geduld für lang andauernde und häufig wiederkehrende Aufgaben gefragt, aber die vielen verschiedenen Materialien, mit denen sie arbeitet, die gefragte Kreativität für die Lösung von neuen Problemen und die Mischung von unterschiedlichsten Aufträgen machen ihren Alltag als Restauratorin interessant und vielfältig. Dazu gehören neben Restaurierungs- und Konservierungsarbeiten zum Beispiel auch die Unterstützung von Museen bei deren Ausstellungskonzepten.
Restaurierung eines Wachssiegels durch Meret Bächler, Foto Michael Baumberger – chicshot.ch
Von Geschichte über Ethik bis Chemie
Nach drei Jahren Bachelorstudium war die heutige Inhaberin des Ateliers Schriftgut-Restaurierung befähigt, als Konservatorin zu arbeiten und präventive Arbeiten auszuüben. Erst nach den zusätzlichen zwei Jahren Masterstudium besass sie sämtliche Fähigkeiten, um als Restaurierungsfachfrau zu arbeiten und durfte daraufhin auch Eingriffe an Objekten durchführen. Vorlesungen zu den Themen Materialwissenschaften und Chemie sowie handwerkliche Praktika und Ethikseminare standen im Zentrum der Ausbildung an der Berner Fachhochschule. Die ethischen Grundsätze stellen die Geschichte des Objekts ins Zentrum und prägen den Alltag von perfektionistischen Restauratorinnen und Restauratoren.
INFOBOX: „Das geht auf keine Kuhhaut!“
Im Mittelalter glaubten die Menschen, dass der Teufel eine Liste mit den Sünden jedes einzelnen Menschen auf Pergament, also Tierhaut, notiert. Die Pergamenthäute von Ziegen und Schafen sind eher klein, jene von Kühen eher gross. Folglich muss es sich um einen sehr sündhaften Menschen handeln, wenn die Liste kaum noch auf einer Kuhhaut Platz hat…
Eingriff muss sichtbar sein
Bei Restaurierungen geht es nämlich nicht darum, den perfekt passenden Farbton für den fehlenden Teil einer Urkunde zu mischen. Perfekt in diesem Fall ist ein Farbton, der einen Tick dunkler oder heller ist, damit bei genauem Hinschauen der Eingriff am Originalobjekt ersichtlich ist. Zudem ist es wichtig, dass die für die Restaurierung verwendeten Materialen alterungsbeständig und die durchgeführten Eingriffe wann immer möglich reversibel sind, das heisst ohne Schaden am Original wieder rückgängig gemacht werden können.
Was passiert mit einer Pergamenturkunde nach Eintreffen im Atelier?
Pergament ist Tierhaut, die im Gegensatz zu Leder nicht gegerbt, sondern zur Entfernung der Haare in Kalklauge behandelt, und danach im nassen Zustand gespannt und an der Luft getrocknet wurde. Pergament stellte in Europa zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert das primäre Beschreibmaterial dar, bevor es von Papier abgelöst wurde.
Links: Gefaltet aufbewahrte Pergamenturkunden. Rechts: Gerollt aufbewahrte Pergamenturkunden. Foto Meret Bächler
Bei Ankunft der Urkunden im Atelier wird als Erstes der Vorzustand beurteilt. Das Hauptproblem bei Pergamenturkunden ist oftmals, dass sie gefaltet oder gerollt aufbewahrt wurden und sich nur schwer öffnen lassen. Das Material hat sich an die Lagerungsform gewöhnt und rollt oder faltet sich nach dem Öffnen gleich wieder von selbst in die Lagerungsposition zurück.
Schadensbild 1: Links: Urkunde mit Frassspuren von einem Nagetier. Rechts: Dieselbe Urkunde nach dem Planlegen und der Restaurierung der Frassspuren mit neuem Pergament. Foto Meret Bächler
Weitere Schadensbilder bei Urkunden sind Verunreinigungen, Schimmel, Risse, durch Nagetiere verursachte Fehlstellen (Schadensbild 1), beschädigte Wachssiegel (Schadensbild 2) oder Bleibullen mit Bleicarbonat-Beschlag (Schadensbild 3).
Schadensbild 2: Links: Wachssiegel aus dem Jahr 1549 mit Verunreinigungen und einer Fehlstelle oben. Rechts: Das Siegel nach der Reinigung mit Tensid und ergänzt mit neuem Wachs. Bei genauem Hinsehen erkennt man im Nachzustand die unterschiedlichen Farbtöne von Originalsiegel und zugefügtem Material. Foto Meret Bächler
In ihrem Büro mit PC- Arbeitsplatz und Fotografie-Ecke hält die Restaurierungsfachfrau den Vorzustand der Objekte anhand von Fotos und Text genau fest. Für jeden Auftrag wird eine umfangreiche Dokumentation erstellt, worin nach der Beschreibung des Vorzustandes auch laufend die vorgenommenen Arbeitsschritte präzise dokumentiert werden.
Schadensbild 3: Diese Urkunde aus dem Jahr 1247 enthält anstelle eines Wachssiegels, das man am häufigsten antrifft, eine Bleibulle. Links: Vorzustand mit Bleicarbonat Bildung auf der Oberfläche der Bleibulle. Rechts: Die durch elektrolytische Behandlung von Bleicarbonat befreite Urkunde im Nachzustand. Foto Meret Bächler
Im Chemielabor – von Säuren und Basen
Auch ein Chemieraum gehört zum Atelier. Hier werden unterschiedliche Klebstoffe hergestellt und gelagert, verschiedene Farbstoffe gemixt oder Materialien eingefärbt. In diesem Raum geschieht auch ein grosser Teil der Untersuchung nach Ankunft der Urkunden. Mithilfe des Mikroskops kann anhand des Porenbildes der Haut die Tierart des Pergaments identifiziert werden. Die Position auf der Tierhaut wird auf dem Leuchttisch bestimmt, und mit einer UV-Lampe werden die Urkunden nach verblasster Tinte untersucht. Bei der Analyse von Papierobjekten kommt zudem ein Oberflächen-pH-Messgerät zur genauen Bestimmung des pH-Werts des Papiers zum Einsatz. Denn häufig müssen vergilbte Papiere mittels Wasserbehandlung entsäuert und mit einem alkalischen Puffer (Calciumcarbonat) versehen werden.
INFOBOX: „Ein Buch aufschlagen“
Früher wurden für Bücher Holzdeckel verwendet, die mit Metallhaken versehen wurden. Auf diese Weise konnte das Buch geschlossen werden. Um diese Haken zu öffnen, musste man das Buch zusammendrücken – oder eben das Buch auf den Tisch legen und auf den Buchdeckel schlagen, die Haken sprangen von selbst auf und man konnte das wortwörtlich aufgeschlagene Buch zu lesen beginnen.
Der Schmutzraum – unentbehrlich und meditativ
Ein weiterer kleiner Raum schliesst sich dem Chemieraum an. Die abtrennende Tür kann dicht geschlossen werden, damit sich der Staub und Schmutz nicht im ganzen Atelier ausbreitet – denn hier wird gereinigt. Die Schimmelsporen sowie den Staub des Holzschleifens möchte man lieber nicht überall verteilen. Hier reinigt die Schriftgut-Spezialistin die heiklen Pergamenturkunden mit einer weichen Bürste, während hartnäckigere Stellen mithilfe eines Latexschwammes oder Druckluft gesäubert werden.
Die Wachssiegel werden trocken mit Pinsel oder bei starker Verschmutzung mit Tensid gereinigt (Schadensbild 2). Bleibullen mit Bleicarbonat-Bildung erhalten eine elektrolytische Behandlung (Schadensbild 3). Der Blickfang dieses Raumes ist ein kleiner Staubsaugeraufsatz, der über einem Schreibtisch hängt. Damit kann Meret in einer ihrer dann eher meditativen Tätigkeiten Seite für Seite den Falz von dicken Büchern saugen, und sich zugleich über die unterschiedlichsten mehr oder weniger merkwürdigen oder spannenden Bücher-Inhalte wundern.
Den Jahrhunderte alten Patienten neues Leben einhauchen
Eine grosszügige Werkstatt bildet das Herzstück des Ateliers. Hier werden instabile Fehlstellen und Risse mit neuem Pergament oder mit eingefärbtem Japanpapier und Weizenstärkekleister restauriert (Schadensbild 1). Fehlstellen und Brüche im Wachssiegel werden mit selbst hergestellten Wachsmischungen gefestigt oder ergänzt (Schadensbild 2). Ein langwieriger Prozess ist das Planlegen von gefalteten und gerollten Urkunden. Für ein langfristiges Glätten müssen die Urkunden zuerst im Zedernholzkasten bei etwa 93 % relativer Luftfeuchtigkeit für ca. 48 Stunden befeuchtet werden, bis die Tierhaut weich und elastisch ist.
Verschiedene Wachsmischungen für die Siegelrestaurierung. Foto Michael Baumberger – chicshot.ch
Danach werden die Urkunden auf dem Unterdrucktisch für ungefähr eine Stunde plangelegt, bis man das Pergament trocken und glatt entnehmen kann. Schlussendlich kommen die Urkunden für 3 Monate in die Stockpresse, um eine nachhaltige Formstabilität zu erreichen. Über das Jahr füllen sich diese Pressen zu einem Berg von Urkunden, die mit den herausbaumelnden Siegeln aller Art einen sehr schönen Anblick bieten (siehe Titelbild). Am Ende des Restaurierungsprozesses werden gelegentlich einzelne Urkunden in ein Aufbewahrungsbehältnis montiert, worin sie gelagert oder ausgestellt werden können. Bevor die Urkunden das Atelier wieder verlassen, hält Meret auch den Nachzustandes der Objekte bildlich und textlich in der Dokumentation fest.
INFOBOX: Aktuelles Restaurierungsprojekt „Barbarossa“
Diese Urkunde stammt von Friedrich I., genannt Barbarossa, Kaiser des römisch-deutschen Reiches, der mit dieser Urkunde im Jahre 1153 das Kloster Payerne unter seinen Schutz nahm. Dieses Kloster ist bekannt für seine zahlreiche Fälschungen aus dem 12. Jahrhundert, da die Mönche für neue Rechte kämpften: Zum Beispiel wollten sie ihren eigenen Abt auch selbst wählen können. Die vorgestellte Urkunde ist allerdings echt und wird im Staatsarchiv Fribourg aufbewahrt.
Pergamenturkunde von Friedrich I. aus dem Staatsarchiv Fribourg (StAFR Payerne 4a). Links: Vorzustand des gebrochenen Wachssiegels, das in die Urkunde eingedrückt ist. Rechts: Nachzustand mit durchgedrücktem Wachssiegel nach der Restaurierung. Foto Meret Bächler
Die Pergamenturkunde von Friedrich I. wird aufgrund des durchgedrückten Siegels in einen Klettrahmen gespannt und an der Luft getrocknet.
Bei dieser Urkunde ist das Siegel nicht angehängt, sondern in das Pergament durchgedrückt. Um das Siegel nicht zu beschädigen, wurde die Urkunde nach dem Befeuchten nicht auf dem Unterdrucktisch plangelegt, sondern mit Klammern in einen Klettrahmen gespannt und an der Luft getrocknet, also ähnlich wie damals bei der Herstellung von Pergament. Danach wurde die Urkunde lokal beschwert, statt in der Stockpresse eingepresst. Dies weil das Siegel in diesem Beispiel nicht aus der Presse herauslugen konnte und zerdrückt worden wäre.
Für mehr Informationen verweisen wir gerne auf die Webseite
schriftgut-restaurierung.ch von Meret Bächler.