Dr. Internet – Fluch oder Segen?

Das Internet wird sehr oft als Informationsquelle für gesundheitliche Fragen genutzt. Trotzdem ist die Unsicherheit bei den NutzerInnen noch immer gross. Können wir aus dem Internet bezüglich Gesundheitsinformationen wirklich einen Mehrwert ziehen oder sollten wir doch auf die innere Stimme hören, die uns davon abrät im Internet zu stöbern? Der Experte Dr. Nicola Diviani forscht an der Universität Luzern und am Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil über digitale Gesundheitsinformationen. Er gibt basierend auf seinen bisherigen Forschungsergebnissen einige Ratschläge.

Selin Scherrer | 21.06.2020

Grafik von Ryzhi auf iStock

Kennen Sie das? Sie haben seit zwei Tagen Bauchschmerzen, fühlen sich total müde und erschöpft, können aber noch zur Arbeit gehen. Sie wollen wissen, an was sie leiden und was sie dagegen unternehmen können. Natürlich rennen Sie nicht gleich zum Arzt, sondern fragen zuerst Google nach Rat. Wir alle kennen Situationen wie diese. Sobald es irgendwo zwickt und zieht, suchen wir auf Google nach Informationen dazu. Die beste Freundin ist niedergeschlagen, weil ihre Krebstherapie nicht anschlägt – also durchforsten wir das Internet nach Alternativen. So geht es den meisten SchweizerInnen. 76% aller Schweizer InternetnutzerInnen informieren sich online über Gesundheitsfragen [1]. Wie das Team um Dr. Nicola Diviani festgestellt hat, fällt es uns trotzdem noch immer schwer, dies auch gegenüber unseren ärztlichen Vertrauenspersonen offen darzulegen [2].

Unwahrheiten und Halbwissen

Die Zweifel gegenüber Online-Recherchen sind nicht unberechtigt, sie bringen Risiken mit sich. Das grösste Problem ist wohl, dass jegliche Personen Aussagen ins Internet schreiben können, die dann allen InternetnutzInnen zugänglich sind. Dies heisst, dass ganz einfach Unwahrheiten und Halbwissen verbreitet werden können. Das heisst aber auch, dass sich Personen mit ganz unterschiedlicher Bildung und unterschiedlichem Vorwissen ‚austauschen‘, was zu Unsicherheiten und Missverständnissen führen kann. Nicht zuletzt ist jeder Körper individuell und zwei Personen reagieren auf die gleiche Behandlung nicht unbedingt gleich.

Wie können wir also das Internet richtig einsetzen, damit wir uns trotzdem noch von zu Hause aus über Gesundheitsfragen informieren können?

„Wenn wir den ärztlichen Ratschlag ignorieren und blindlings eine andere online gefundene Methode anwenden, kann das zu Problemen führen.“

Offenheit gegenüber Onlinerecherchen

Dr. Nicola Diviani glaubt an das Potential des Internets. Er warnt aber, dass wir dieses zurzeit noch nicht ausschöpfen. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sei, dass ÄrztInnen dem Thema gegenüber offener werden. Fast alle SchweizerInnen nutzen das Internet, um sich bezüglich Gesundheitsfragen zu informieren. Würden wir aufhören diese Recherchen zu leugnen, könnten wir die Arztkonsultationen dazu nutzen, um die gefundenen Informationen mit einer Expertin oder einem Experten zu diskutieren. Wichtig wird dies vor allem, wenn es nicht mehr nur um das Informieren, sondern um spezifisches Handeln geht. Wenn wir den ärztlichen Ratschlag ignorieren und blindlings eine andere online gefundene Methode anwenden, kann das zu Problemen führen. Wie schon erwähnt, sind unsere Körper sehr individuell und können somit auch unterschiedlich auf die gleiche Behandlung reagieren. Unsere HausärztInnen kennen unseren Körper und unsere Krankheitsgeschichte, und können die gefundenen Informationen in den individuellen Kontext bringen.

Bessere Qualität

Die Offenheit gegenüber dem Internet als medizinisches Informationsmedium könnte dazu beitragen, die Qualität zu verbessern. Somit könnten alle InternetnutzerInnen vertrauenswürdige und verständliche Informationen finden. Schliesslich könnte so das Gesundheitssystem entlastet werden, indem überflüssige Arztbesuche verhindert und das Verständnis der PatientInnen gefördert würden. Damit dies erreicht werden kann, müssen alle zusammenarbeiten und beginnen, das Internet als wichtige Ressource zu betrachten.

Ärztin mit Handy, Foto von Daniel Sone auf unsplash

Zwei wichtige Verbesserungspunkte

Zusätzlich zur Offenheit der medizinischen Fachpersonen gegenüber Onlinerecherchen sieht Dr. Nicola Diviani vor allem zwei Hauptverbesserungspunkte im Umgang mit dem Internet.

Zum einen sollten wir uns über offizielle Quellen informieren. Bezüglich der momentanen Covid-19-Pandemie könnte man sich zum Beispiel beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) schlau machen. Dieses hält sich an die offiziellen Richtlinien der WHO und liefert spezifisch alle wichtigen Informationen und geltenden Bestimmungen für die Schweiz.

„Das Internet ist eine grosse Chance für das Gesundheitssystem – lasst uns diese Möglichkeit nicht entgehen.“

Offizielle Webseite von Fachpersonen

In der Schweizer Internetlandschaft vermisst Diviani aber einen wichtigen offiziellen Beitrag, der SchweizerInnen bezüglich alltäglichen Gesundheitsfragen aufklärt. Er hat für einige Zeit in den Niederlanden geforscht und gelebt. Dort gebe es zum Beispiel eine Internetseite, die von medizinischem Fachpersonal geführt werde. Diese Seite stellt kontrollierte und vertrauenswürdige Informationen für die Bevölkerung zur Verfügung. Somit können die Personen genau angeleitet und unnötige Arztbesuche verhindert werden. Eine Webseite wie diese wünscht sich Diviani auch für die Schweiz. Das Fehlen einer solchen Quelle mache es umso wichtiger, dass man offen mit seiner Ärztin oder seinem Arzt über Zweifel spreche.

Zudem müssten wir InternetnutzerInnen unbedingt geschult werden, wie wir vertrauenswürdige von weniger vertrauenswürdigen Internetseiten unterscheiden können. Diviani spricht hier neben dem Ärztepersonal vor allem die GrundschullehrerInnen an. Die Kinder sollten ganz allgemein bezüglich Strategien aufgeklärt werden, im Internet vertrauenswürdige Informationen zu finden.

Vier Empfehlungen zum Umgang mit Dr. Internet

Als grundlegendes Hilfsmittel, um vertrauenswürdige Internetseiten zu finden, können diese vier Empfehlungen eingesetzt werden. Diviani und sein Team haben gezeigt, dass diese Empfehlungen die Bewertung der Glaubwürdigkeit durch uns NutzerInnen positiv unterstützen [3].

Infobox
TIPP 1: Zertifizierung ist der Schlüssel! Einige Institutionen stellen ein Qualitätslabel für Webseiten guter Qualität zur Verfügung. Falls die Webseite keine Zertifizierung enthält, ist dies wohl eine Gesundheitswebseite von schlechter Qualität.
TIPP 2: Suche immer nach den AutorInnen! Gute Gesundheitswebseiten sind normalerweise von identifizierbaren GesundheitsexpertInnen oder Institutionen geschrieben und enthalten Referenzen zu medizinischen Publikationen.
TIPP 3: Vorsicht vor versteckter Werbung! Werbung ist nicht unbedingt schlecht. Sind Werbung und Webseiteninhalte aber nicht klar trennbar, handelt es sich wohl um eine schlechte Gesundheitswebseite.
TIPP 4: Text ist nicht genug! Gute Gesundheitswebseiten erklären meistens schwierige Begriffe und Konzepte auch mit Hilfe von Bildern, Grafiken oder Videos.

Ein Beispiel einer Zertifizierung für Gesundheitswebseiten ist der HONCode. Nach einem Klick auf das Label, welches in der Fusszeile der Webseite zu sehen ist, wird das Zertifikat dieser Seite angezeigt. Wie das Label aussieht und weitere Informationen dazu finden Sie hier.

Die Internetsuche nach Gesundheitsinformationen birgt Risiken. Wir können uns aber mit einem bewussten und vorsichtigen Umgang davor schützen. Das Internet ist eine grosse Chance für das Gesundheitssystem – lasst uns diese Möglichkeit nicht entgehen. Starten wir doch damit, indem wir offener über unsere Internetrecherchen sprechen und bewusster mithilfe der vier Kriterien von Diviani und seinem Team [3] nach vertrauenswürdigen Informationen suchen.

  1. Latzer, M., M. Büchi, and N. Festic, Internetanwendungen und deren Nutzung in der Schweiz 2019. Themenbericht aus dem World Internet Project – Switzerland 2019. 2019.
  2. Diviani, N., et al., Where else would I look for it? A five-country qualitative study on purposes, strategies, and consequences of online health information seeking. J Public Health Res, 2019. 8(1): p. 1518.
  3. Diviani, N. and C.S. Meppelink, The impact of recommendations and warnings on the quality evaluation of health websites: An online experiment. Computers in Human Behavior, 2017. 71: p. 122-129.

Weitere, spannende WIBLO-Artikel findest Du hier

Indem Du unseren Newsletter abonnierst, können wir Dich über neue Artikel in Kenntnis setzen (kein SPAM, versprochen!)   Newsletter

Möchtest Du unsere Initiative für objektiven, Schweizer Wissenschaftsjournalismus unterstützen? Bereits mit einem kleinen Betrag in der Höhe eines leckeren Kaffees hilfst Du uns, weitere spannende Artikel zu ermöglichen   Vielen Dank!

Autorin

Selin Scherrer

Experte

Nicola Diviani

Teilen
Like 13