Insektenschwund in der Schweiz

Schon einmal von Raubwanzen, Schwebfliegen oder Schlupfwespen gehört? Sie teilen sich den Lebensraum mit der Hummel und der Biene und tummeln sich in unseren heimischen Wiesen – auf der Suche nach Nahrung. Doch die wird zunehmend knapper; auch hierzulande. Und die kleinen Tierchen? Sie sind vom Aussterben bedroht, bevor wir sie überhaupt richtig kennenlernen durften. Allerhöchste Zeit also, ihnen im Gespräch mit Prof. Hans Ramseier von der Berner Fachhochschule ein wenig mehr Platz einzuräumen.

Rebecca Geyer und Luisa Morell | 26.12.2020

Magerwiese in Graubünden, Foto WIBLO 2020

Lassen wir uns auf ein Gedankenspiel ein: Es ist Sommeranfang 1995 und wir sitzen im alten Diesel auf dem Weg nach Italien. Gegen Sonnenuntergang halten wir an einer Tankstelle, um für die letzten Kilometer aufzutanken. Zurück im Wagen sind wir nun an der Stelle angekommen, an der die Geschichte heute anders erzählt werden würde als damals. Während wir heute einfach den Zündschlüssel im Schloss umdrehen und weiterfahren würden, hätten wir damals wahrscheinlich kaum durch die mit Fliegen und Mücken übersäte Windschutzscheibe hindurchschauen können.

Die Erinnerung trügt nicht

Diese Geschichte ist sehr prominent und hat viele Facetten. Vor allem aber ist sie nicht Teil einer verwaschenen Erinnerung, sondern traurigerweise wahr. Hans Ramseier hat sie schon unzählige Male in seinem Umfeld gehört. Er ist Professor für Pflanzenschutz und ökologischen Ausgleich an der Berner Fachhochschule in Zollikofen und arbeitet seit einigen Jahren an einem Forschungsprojekt, das dem Insektensterben entgegenwirken soll. Mehr als die eigenen Erfahrungen und Berichte von Landwirten besitzt er aber nicht; konkrete Zahlen gäbe es für die Schweiz keine.

Windschutzscheibe Sommer 1995, WIBLO-Grafik, Luisa Morell

Dass es ernst wird, ist allerdings gewiss. Weltweit wird ein erheblicher Rückgang von Insekten verzeichnet, und mit ihnen schwinden die Bodenfruchtbarkeit, die Nahrungsgrundlage anderer Arten und die natürliche Schädlingsabwehr. Es wird angenommen, dass rund 90 Prozent unserer Wildpflanzen auf Insekten als Bestäuber angewiesen sind. Knapp ein Zehntel der weltweiten landwirtschaftlichen Produktionsmenge ist abhängig von ihnen (Akademien der Wissenschaften Schweiz, 2019). Doch was führt hierzulande dazu, dass es immer weniger Insekten zu finden gibt?

„Die genauen Ursachen für das Insektensterben sind vielschichtig. Ein Kombinationseffekt aus Pestiziden, Trachtlücken und Krankheiten.“

Die genauen Ursachen sind laut Ramseier vielschichtig: „Aus meiner Sicht ist in der Schweiz der Pestizideinsatz  nicht der einzige Faktor. Ich denke, ganz wesentlich ist auch die Trachtlücke (siehe Infobox) im Sommer, die dazu führt, dass einfach zu wenig Nahrung vorhanden ist. Dazu kommen Krankheiten und die Pflanzenschutzmittel. Häufig ist es dann ein Kombinationseffekt. Das heisst, wenn zu wenig Nahrung zur Verfügung steht, sind die Individuen sowieso geschwächt und eine zusätzliche Belastung durch Pflanzenschutzmittel macht die Auswirkungen noch gravierender. Die Insekten, wie z.B. die Wildbienen, überwintern folglich weniger gut. Wenn sie am Ende sehr weit fliegen müssen um zur Nahrungsquelle zu kommen, gibt es weniger Nachkommen. All das endet dann in einer Art Abwärtsspirale.“

INFOBOX: TRACHTLÜCKEN
Als Trachtlücke versteht sich der Zeitraum, in dem nur wenig Nahrung für Insekten bereitsteht. Sie ist durch die Ernte der landwirtschaftlichen Felder und Wiesen bedingt. Trachtlücken können zu verschiedenen Zeitpunkten im Jahr auftreten. Oft entstehen sie schon im Frühjahr ab Ende Mai und reichen bis in den Sommer hinein. Für den Zeitraum von Juli bis Ende September spricht man von Spätsommertrachtlücken.
Aufgrund des reduzierten Nahrungsangebots sind die Insekten geschwächt und anfälliger für Krankheiten und Schädlinge. In der Folge kann es sein, dass sie abwandern, oder geschwächt in die Wintersaison starten und sich weniger vermehren oder gar vorzeitig sterben.
Link zum Projekt

Von der Idee zum praxisnahen Forschungsprojekt

Zusammen mit einem ehemaligen Studenten, der unter anderem Landwirt und Bienenhalter ist, beschloss Ramseier 2011, sich die Schliessung jener Trachtlücke zur Aufgabe zu machen. Seither entwickeln sie Saatgutmischungen für Landwirte, die diese auf ihren Flächen auf sogenannten Blühstreifen aussähen. Die Mischungen sind attraktiv für Bienen und andere landwirtschaftliche Nützlinge und bieten eine dauerhaft blütenreiche Anlaufstelle in den nahrungsarmen Monaten. Die Aussaat der Mischungen und die Unterhaltung der Blühstreifen müssen aber auch insbesondere für die Landwirte ohne grossen Mehraufwand einhergehen.

„Raubwanzen werden als landwirtschaftliche Nützlinge bezeichnet, da sie der natürlichen Schädlingsbekämpfung dienen.“

Für ihr Vorhaben konnten sie zu Beginn gleich den Berner Bauernverband und den Schweizer Imkerverbund apisuisse, sowie später das Bundesamt für Landwirtschaft als Geldgeber überzeugen. Warum die Nähe zu den PraxispartnerInnen so wichtig ist? „Den Berner Bauernverband haben wir soweit in die Pflicht genommen, dass er das Projekt in seinen Reihen breit kommuniziert und uns Betriebe nennt, die mitmachen. Die Bienenleute haben wir vor allem ins Boot geholt, damit wir von vorne weg bei diesen Mischungszusammenstellungen auch ihre Meinung mitnehmen und von ihrem Fachwissen profitieren können. Und so haben wir eine kleine Arbeitsgruppe gebildet und sind dann relativ rasch gestartet.“

INFOBOX: 5 TIPPS WIE JEDER ETWAS DAGEGEN TUN KANN
– Säen. Blühende Pflanzen helfen Insekten
– Beim Mähen einige wilde Ecken und Winkel stehen lassen
– Auf Unkrautvernichtungsmittel verzichten
– Nachbarn sensibilisieren
– Wann immer möglich, Bio-Produkte kaufen
Link zum Artikel auf ZDF

Zwischenstand nach neun Jahren Projektlaufzeit

Das Projekt steht nach mittlerweile neun Jahren auf der Zielgeraden. Professor Ramseier ist soweit zufrieden; sein Team kann viel Positives vorweisen. Die Honig- und Wildbienen springen auf die Pflanzen der Blühstreifen an. Es wurde sogar nachgewiesen, dass die Bienen die Pollen aus den Mischungen in ihren Stock eintragen (Ramseier, 2018). Der erste Meilenstein dann 2015, als eine erprobte Mischung vom Bundesrat zugelassen und bewilligt wurde. Es konnte zusätzlich festgestellt werden, dass nebst den Bienen auch weitere Insekten von den Blühstreifen profitieren, so beispielsweise die Schwebfliegen und Raubwanzen. Sie werden als landwirtschaftliche Nützlinge bezeichnet, da sie der natürlichen Schädlingsbekämpfung dienen.

INFOBOX: ROTE LISTEN
Die „International Union For Conservation Nature’s Red List (IUCN Red List) of Threatened Species“ ist seit Jahrzehnten ein Indikator für die weltweit vom Aussterben bedrohten Tier-, Pflanzen, und Pilzarten. Die Roten Listen dienen als Grundlage für diverse Entscheidungen oder Forderungen von Nichtregierungsorganisationen. Neben jenen Listen existieren – teils davon abgeleitete – nationale Listen. Auch das Bundesamt für Umwelt der Schweiz veröffentlicht in regelmässigen Abständen Rote Listen zu verschiedenen Artengruppen.
Link zur IUCN

„Die Raubwanzen, als Gruppe ganz wichtige Nützlinge, haben uns insofern überrascht, als dass sie sehr viel stärker aufgetreten sind, als erwartet. Wir haben teilweise festgestellt, dass die Blühstreifen sehr wertvolle Ersatzhabitate sein können, wenn die Extensivwiesen gemäht werden. Das heisst: Gerade Raubwanzen halten sich sehr gerne in Extensivwiesen auf und wenn die ca. Mitte Juni gemäht werden, so wandern vor allem die Raubwanzen, aber auch andere Insekten in die Blühstreifen ab.“ Im Abgleich mit verschiedenen Listen tauchten auch immer wieder gefährdete Arten auf und solche, die auf der Roten Liste vermerkt seien, so Ramseier.

Den Blühstreifen fehlt es an Attraktivität

Aber was sagt der Praxistest? „Eigentlich ist die gesamtschweizerische Fläche, die aktuell mit Blühstreifen angelegt wird, enttäuschend niedrig und beschränkt sich auf die Versuchsstandorte im Rahmen des Projekts. Die Mehrheit davon liegt im Kanton Bern, ganz klar bedingt durch unsere Forschung, denn wir haben recht häufig festgestellt, dass wenn die Landwirte bereit sind mitzumachen, diese schnell überzeugt sind und die Blühstreifen weiterführen. Aber insgesamt genügt die Entschädigung vonseiten des Bundes nicht. Das heisst, jeder Bauer, der im Moment Blühstreifen sät, legt Geld oben drauf. Wir haben höhere Direktzahlungsbeiträge gefordert. Diese wurden jedoch leider abgelehnt. Folglich bedeutet das: Es gibt 2500 Schweizer Franken pro Hektar, auf der Kostenseite kommen jedoch 600 Schweizer Franken Saatgut hinzu, weiter die Aussaat und die Pflege der Blühstreifen. Unter dem Strich ist es für viele Bauern weniger lukrativ als jede andere landwirtschaftliche Kultur“, so Ramseier.

„Wenn es schön blüht und es summt, dann ist das auch ein Erlebnis, das forschungsteilnehmenden Bauern gefällt. Mit dem Resultat, dass einige Bauern die Pflege der Blühstreifen freiwillig weiterführen.“

Damit die blühende Wiese sich im gleichen Masse für Landwirte wie auch für ihre Bewohner lohnt, ist die Forschungsgruppe weiter im Gespräch mit dem Bund. Nur dann bestehe die Chance, dass sich mehr Landwirte dem Projekt auch über die offizielle Laufzeit hinaus anschliessen und sich die Blühstreifen in der Praxis etablieren. Neben den marktreifen bestehenden einjährigen Mischungen soll eine weitere, mehrjährige Mischung vom Bund bewilligt werden. Die Chancen stehen gut, denn die bisherigen Resultate aus den Testläufen zeigen, dass vor allem spezialisierte Wildbienen, die nur bestimmte Pflanzenarten als Nahrungsquelle ansteuern, auf die mehrjährigen Mischungen ansprechen.

Englischer Rasen kompensiert mit Bienenhotels ist keine Lösung

Die Forschung macht also eindeutige Schritte hierzulande, aber ist die Problematik auch bei den SchweizerInnen angekommen? Ramseier vernimmt eine immer grössere Sensibilisierung und Offenheit gegenüber der Thematik. Dazu beigetragen haben unter anderem die erschreckenden Ergebnisse der ForscherInnengruppe der Krefeld-Studie aus Deutschland und der preisgekrönte Schweizer Dokumentarfilm „More than Honey“ von Markus Imhoof, der das Thema in den Fokus unserer Wahrnehmung katapultierte.

Blühstreifen, WIBLO-Grafik, Luisa Morell

Das verleiht Aufschwung und liess beispielsweise die anfangs noch kritisch eingestellten Landwirte später aus Überzeugung weitermachen. „Wenn es schön blüht und es summt, dann ist das auch ein Erlebnis, das sie plötzlich super finden.“, berichtet Ramseier zum Schluss des Interviews. Er hofft auf einen Schneeballeffekt, der bestenfalls auch auf die nichtlandwirtschaftliche Bevölkerung auf dem Land und in den Städten überschwappt. Wir alle können unseren Beitrag leisten und ein Nahrungsangebot für Insekten auf unserem Balkon oder im Garten bereitstellen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir etwas Natur in und rund um unsere vier Wände lassen, denn „englischer Rasen kompensiert mit Wildbienenhotel allein ist keine Lösung.“

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Magerwiese in Graubünden, Foto WIBLO 2020

Lassen wir uns auf ein Gedankenspiel ein: Es ist Sommeranfang 1995 und wir sitzen im alten Diesel auf dem Weg nach Italien. Gegen Sonnenuntergang halten wir an einer Tankstelle, um für die letzten Kilometer aufzutanken. Zurück im Wagen sind wir nun an der Stelle angekommen, an der die Geschichte heute anders erzählt werden würde als damals. Während wir heute einfach den Zündschlüssel im Schloss umdrehen und weiterfahren würden, hätten wir damals wahrscheinlich kaum durch die mit Fliegen und Mücken übersäte Windschutzscheibe hindurchschauen können.

Die Erinnerung trügt nicht

Diese Geschichte ist sehr prominent und hat viele Facetten. Vor allem aber ist sie nicht Teil einer verwaschenen Erinnerung, sondern traurigerweise wahr. Hans Ramseier hat sie schon unzählige Male in seinem Umfeld gehört. Er ist Professor für Pflanzenschutz und ökologischen Ausgleich an der Berner Fachhochschule in Zollikofen und arbeitet seit einigen Jahren an einem Forschungsprojekt, das dem Insektensterben entgegenwirken soll. Mehr als die eigenen Erfahrungen und Berichte von Landwirten besitzt er aber nicht; konkrete Zahlen gäbe es für die Schweiz keine.

Windschutzscheibe Sommer 1995, WIBLO-Grafik, Luisa Morell

Dass es ernst wird, ist allerdings gewiss. Weltweit wird ein erheblicher Rückgang von Insekten verzeichnet, und mit ihnen schwinden die Bodenfruchtbarkeit, die Nahrungsgrundlage anderer Arten und die natürliche Schädlingsabwehr. Es wird angenommen, dass rund 90 Prozent unserer Wildpflanzen auf Insekten als Bestäuber angewiesen sind. Knapp ein Zehntel der weltweiten landwirtschaftlichen Produktionsmenge ist abhängig von ihnen (Akademien der Wissenschaften Schweiz, 2019). Doch was führt hierzulande dazu, dass es immer weniger Insekten zu finden gibt?

„Die genauen Ursachen für das Insektensterben sind vielschichtig. Ein Kombinationseffekt aus Pestiziden, Trachtlücken und Krankheiten.“

Die genauen Ursachen sind laut Ramseier vielschichtig: „Aus meiner Sicht ist in der Schweiz der Pestizideinsatz  nicht der einzige Faktor. Ich denke, ganz wesentlich ist auch die Trachtlücke (siehe Infobox) im Sommer, die dazu führt, dass einfach zu wenig Nahrung vorhanden ist. Dazu kommen Krankheiten und die Pflanzenschutzmittel. Häufig ist es dann ein Kombinationseffekt. Das heisst, wenn zu wenig Nahrung zur Verfügung steht, sind die Individuen sowieso geschwächt und eine zusätzliche Belastung durch Pflanzenschutzmittel macht die Auswirkungen noch gravierender. Die Insekten, wie z.B. die Wildbienen, überwintern folglich weniger gut. Wenn sie am Ende sehr weit fliegen müssen um zur Nahrungsquelle zu kommen, gibt es weniger Nachkommen. All das endet dann in einer Art Abwärtsspirale.“

INFOBOX: TRACHTLÜCKEN
Als Trachtlücke versteht sich der Zeitraum, in dem nur wenig Nahrung für Insekten bereitsteht. Sie ist durch die Ernte der landwirtschaftlichen Felder und Wiesen bedingt. Trachtlücken können zu verschiedenen Zeitpunkten im Jahr auftreten. Oft entstehen sie schon im Frühjahr ab Ende Mai und reichen bis in den Sommer hinein. Für den Zeitraum von Juli bis Ende September spricht man von Spätsommertrachtlücken.
Aufgrund des reduzierten Nahrungsangebots sind die Insekten geschwächt und anfälliger für Krankheiten und Schädlinge. In der Folge kann es sein, dass sie abwandern, oder geschwächt in die Wintersaison starten und sich weniger vermehren oder gar vorzeitig sterben.
Link zum Projekt

Von der Idee zum praxisnahen Forschungsprojekt

Zusammen mit einem ehemaligen Studenten, der unter anderem Landwirt und Bienenhalter ist, beschloss Ramseier 2011, sich die Schliessung jener Trachtlücke zur Aufgabe zu machen. Seither entwickeln sie Saatgutmischungen für Landwirte, die diese auf ihren Flächen auf sogenannten Blühstreifen aussähen. Die Mischungen sind attraktiv für Bienen und andere landwirtschaftliche Nützlinge und bieten eine dauerhaft blütenreiche Anlaufstelle in den nahrungsarmen Monaten. Die Aussaat der Mischungen und die Unterhaltung der Blühstreifen müssen aber auch insbesondere für die Landwirte ohne grossen Mehraufwand einhergehen.

„Raubwanzen werden als landwirtschaftliche Nützlinge bezeichnet, da sie der natürlichen Schädlingsbekämpfung dienen.“

Für ihr Vorhaben konnten sie zu Beginn gleich den Berner Bauernverband und den Schweizer Imkerverbund apisuisse, sowie später das Bundesamt für Landwirtschaft als Geldgeber überzeugen. Warum die Nähe zu den PraxispartnerInnen so wichtig ist? „Den Berner Bauernverband haben wir soweit in die Pflicht genommen, dass er das Projekt in seinen Reihen breit kommuniziert und uns Betriebe nennt, die mitmachen. Die Bienenleute haben wir vor allem ins Boot geholt, damit wir von vorne weg bei diesen Mischungszusammenstellungen auch ihre Meinung mitnehmen und von ihrem Fachwissen profitieren können. Und so haben wir eine kleine Arbeitsgruppe gebildet und sind dann relativ rasch gestartet.“

INFOBOX: 5 TIPPS WIE JEDER ETWAS DAGEGEN TUN KANN
– Säen. Blühende Pflanzen helfen Insekten
– Beim Mähen einige wilde Ecken und Winkel stehen lassen
– Auf Unkrautvernichtungsmittel verzichten
– Nachbarn sensibilisieren
– Wann immer möglich, Bio-Produkte kaufen
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Zwischenstand nach neun Jahren Projektlaufzeit

Das Projekt steht nach mittlerweile neun Jahren auf der Zielgeraden. Professor Ramseier ist soweit zufrieden; sein Team kann viel Positives vorweisen. Die Honig- und Wildbienen springen auf die Pflanzen der Blühstreifen an. Es wurde sogar nachgewiesen, dass die Bienen die Pollen aus den Mischungen in ihren Stock eintragen (Ramseier, 2018). Der erste Meilenstein dann 2015, als eine erprobte Mischung vom Bundesrat zugelassen und bewilligt wurde. Es konnte zusätzlich festgestellt werden, dass nebst den Bienen auch weitere Insekten von den Blühstreifen profitieren, so beispielsweise die Schwebfliegen und Raubwanzen. Sie werden als landwirtschaftliche Nützlinge bezeichnet, da sie der natürlichen Schädlingsbekämpfung dienen.

INFOBOX: ROTE LISTEN
Die „International Union For Conservation Nature’s Red List (IUCN Red List) of Threatened Species“ ist seit Jahrzehnten ein Indikator für die weltweit vom Aussterben bedrohten Tier-, Pflanzen, und Pilzarten. Die Roten Listen dienen als Grundlage für diverse Entscheidungen oder Forderungen von Nichtregierungsorganisationen. Neben jenen Listen existieren – teils davon abgeleitete – nationale Listen. Auch das Bundesamt für Umwelt der Schweiz veröffentlicht in regelmässigen Abständen Rote Listen zu verschiedenen Artengruppen.
Link zur IUCN

„Die Raubwanzen, als Gruppe ganz wichtige Nützlinge, haben uns insofern überrascht, als dass sie sehr viel stärker aufgetreten sind, als erwartet. Wir haben teilweise festgestellt, dass die Blühstreifen sehr wertvolle Ersatzhabitate sein können, wenn die Extensivwiesen gemäht werden. Das heisst: Gerade Raubwanzen halten sich sehr gerne in Extensivwiesen auf und wenn die ca. Mitte Juni gemäht werden, so wandern vor allem die Raubwanzen, aber auch andere Insekten in die Blühstreifen ab.“ Im Abgleich mit verschiedenen Listen tauchten auch immer wieder gefährdete Arten auf und solche, die auf der Roten Liste vermerkt seien, so Ramseier.

Den Blühstreifen fehlt es an Attraktivität

Aber was sagt der Praxistest? „Eigentlich ist die gesamtschweizerische Fläche, die aktuell mit Blühstreifen angelegt wird, enttäuschend niedrig und beschränkt sich auf die Versuchsstandorte im Rahmen des Projekts. Die Mehrheit davon liegt im Kanton Bern, ganz klar bedingt durch unsere Forschung, denn wir haben recht häufig festgestellt, dass wenn die Landwirte bereit sind mitzumachen, diese schnell überzeugt sind und die Blühstreifen weiterführen. Aber insgesamt genügt die Entschädigung vonseiten des Bundes nicht. Das heisst, jeder Bauer, der im Moment Blühstreifen sät, legt Geld oben drauf. Wir haben höhere Direktzahlungsbeiträge gefordert. Diese wurden jedoch leider abgelehnt. Folglich bedeutet das: Es gibt 2500 Schweizer Franken pro Hektar, auf der Kostenseite kommen jedoch 600 Schweizer Franken Saatgut hinzu, weiter die Aussaat und die Pflege der Blühstreifen. Unter dem Strich ist es für viele Bauern weniger lukrativ als jede andere landwirtschaftliche Kultur“, so Ramseier.

„Wenn es schön blüht und es summt, dann ist das auch ein Erlebnis, das forschungsteilnehmenden Bauern gefällt. Mit dem Resultat, dass einige Bauern die Pflege der Blühstreifen freiwillig weiterführen.“

Damit die blühende Wiese sich im gleichen Masse für Landwirte wie auch für ihre Bewohner lohnt, ist die Forschungsgruppe weiter im Gespräch mit dem Bund. Nur dann bestehe die Chance, dass sich mehr Landwirte dem Projekt auch über die offizielle Laufzeit hinaus anschliessen und sich die Blühstreifen in der Praxis etablieren. Neben den marktreifen bestehenden einjährigen Mischungen soll eine weitere, mehrjährige Mischung vom Bund bewilligt werden. Die Chancen stehen gut, denn die bisherigen Resultate aus den Testläufen zeigen, dass vor allem spezialisierte Wildbienen, die nur bestimmte Pflanzenarten als Nahrungsquelle ansteuern, auf die mehrjährigen Mischungen ansprechen.

Englischer Rasen kompensiert mit Bienenhotels ist keine Lösung

Die Forschung macht also eindeutige Schritte hierzulande, aber ist die Problematik auch bei den SchweizerInnen angekommen? Ramseier vernimmt eine immer grössere Sensibilisierung und Offenheit gegenüber der Thematik. Dazu beigetragen haben unter anderem die erschreckenden Ergebnisse der ForscherInnengruppe der Krefeld-Studie aus Deutschland und der preisgekrönte Schweizer Dokumentarfilm „More than Honey“ von Markus Imhoof, der das Thema in den Fokus unserer Wahrnehmung katapultierte.

Blühstreifen, WIBLO-Grafik, Luisa MOrell

Das verleiht Aufschwung und liess beispielsweise die anfangs noch kritisch eingestellten Landwirte später aus Überzeugung weitermachen. „Wenn es schön blüht und es summt, dann ist das auch ein Erlebnis, das sie plötzlich super finden.“, berichtet Ramseier zum Schluss des Interviews. Er hofft auf einen Schneeballeffekt, der bestenfalls auch auf die nichtlandwirtschaftliche Bevölkerung auf dem Land und in den Städten überschwappt. Wir alle können unseren Beitrag leisten und ein Nahrungsangebot für Insekten auf unserem Balkon oder im Garten bereitstellen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir etwas Natur in und rund um unsere vier Wände lassen, denn „englischer Rasen kompensiert mit Wildbienenhotel allein ist keine Lösung.“

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Autorin

Rebecca Geyer

Illustratorin

Luisa Morell

Experte Berner Fachhochschule

Hans Ramseier

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