Schweizer Medienkompetenz vs. Fake News
Wo stehen die Schweizer Medien in Zeiten von Fake News und der Omnipräsenz von Social Media? Fake News, wie beispielsweise jene über den umstrittenen Ursprung des Coronavirus SARS-CoV-2, häufen sich und verbreiten sich vor allem via Social Media wie ein Lauffeuer. In Zeiten von unsicheren Quellen und Falschinformationen lohnt es sich, wieder vermehrt auf die Schweizer Informationsmedien zu setzen, um an wahrheitsgetreue Informationen zu gelangen.
Romina Gilgen | 18.02.2020
Foto: Elijah O’Donnell auf Unsplash
Gerade für eine Gesellschaft spielen Medien eine zentrale Rolle, nicht umsonst werden sie als vierte Gewalt der Politik betrachtet. Im Idealfall ermöglichen die Medien einen kritischen Dialog sowie eine Reflexion der Öffentlichkeit zu politischen, sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Themen. Der Leser wird jedoch in Zeiten von Fake News und Social Media immer mehr dazu genötigt, sich selbst ein Bild der Tatsachen zu konstruieren. Doch nicht alle Bürger besitzen diese Medienkompetenz oder nehmen sich die nötige Zeit, um sich ein fundiertes Bild der Tatsachen machen zu können. Das Forschungszentrum für Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich hat sich mit diesem Problem auseinandergesetzt und sowohl die Qualität der Schweizer Medien analysiert. Zudem lanciert das fög ein neues Projekt für mehr Medienkompetenz.
„Der Wandel von Hard-News zu Human-Interest-Themen kann als Hauptgrund für den Vielfaltsverlust der Schweizer Medien betrachtet werden.“
Seit über 10 Jahren untersucht das fög bereits die Berichterstattungsqualität der Schweizer Informationsmedien wie beispielsweise Formate der SRG oder der NZZ. Das Qualitätsverständnis hat es dabei an der demokratischen Leistungsfunktion festgemacht. Denn erst mit Hilfe der schweizerischen Informationsmedien, ist es möglich, eine Öffentlichkeit herzustellen. Zu den Schweizer Informationsmedien zählen grundsätzlich Schweizer Zeitungen sowie Magazine oder Fernseh- als auch Radiosendungen und Newswebsites. Zu diesem Zweck sollen sie eine ausgewogene Berichterstattung hervorbringen, so dass sich die Menschen ein Bild verschiedener Standpunkte machen können. Kurzgefasst sollen die Informationsmedien den öffentlichen Diskurs mit einer möglichst hohen Qualität abbilden.
Von Hard News zu Human-Interest-Themen
Die Angebote der Schweizer Medien verlieren laut den Forschern nur wenig an Qualität, zudem sind nicht alle Qualitätsdimensionen gleichermassen davon betroffen. Ein konstant hohes Niveau weisen auf der einen Seite die sachliche Berichterstattung, die redaktionelle Eigenleistung sowie die Transparentmachung von Quellen auf. Die Schweizer Medien verlieren hingegen klar an Relevanz und Vielfalt. Einbussen lassen sich ebenfalls in den Bereichen Einordungsleistung, Beitragsrelevanz und inhaltliche Vielfalt verzeichnen. Ein immer wichtiger werdender Faktor sind Soft -News. Unter Soft -News versteht man Berichte über Lifestyle-Themen, Promis und weitere Unterhaltungsbeiträge. Im Hard -News-Bereich findet hingegen eine Verschiebung des Berichterstattungsfokus statt, dieser geht von gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen hin zu einer Fokussierung auf Personen. Insbesondere Beiträge zu Human-Interest-Themen haben zugenommen, dabei sind beispielsweise Alltagsthemen oder emotionale Themen gemeint, bei denen jeder mitreden kann. Der Experte Jörg Schneider, Associate Researcher des fög, ergänzt die Aussagen der Studie: «Die Schweizer Informationsmedien versuchen auf die sozialen Medien zu reagieren, indem sie vermehrt Meinungen und Positionen aufzeigen». Der Wandel von Hard-News zu Human-Interest-Themen kann als Hauptgrund für den Vielfaltsverlust der Schweizer Medien betrachtet werden.
Bedeutung der «Demokratische Leistungsfunktion»:
Ein Qualitätsverständnis, das auf die demokratischen Leistungsfunktionen abstellt, macht es erforderlich, alle Medien nach demselben Standard zu bewerten. Denn ein Medium mag marktlich zwar erfolgreich sein, aber dennoch keinen oder nur einen bescheidenen Beitrag zum demokratischen Gemeinwesen beisteuern. Kurzum: Nicht alles, was der Markt belohnt, ist auch demokratiepolitisch erwünscht. Ziel des «Jahrbuchs Qualität der Medien» war und ist es deshalb, ein demokratietheoretisch fundiertes Instrument zu entwickeln und auf alle wichtigen Medientypen anzuwenden. (fög)
Werte sind wichtig
Glücklicherweise sind nicht alle Dimensionen beim Qualitätsverlust gleichermassen betroffen. Insbesondere bei der Professionalität schneiden die Schweizer Medien gut ab. Diese Professionalität ist wichtig für die Vertrauensbasis zwischen einem Medium und dem Konsumenten. Die «NZZ» beispielsweise schreibt, dass die Schweizer Medien vermehrt auf Glaubwürdigkeit und Dialog setzen sollten, die Leser seien schliesslich «Partner auf Augenhöhe». Denn Leser sind vor allem dann gewillt, eine Zeitung zu abonnieren, wenn das gegenseitige Vertrauen da ist, dafür muss das Medium ähnliche Werte vertreten wie der Leser. Dies gelingt beispielsweise, indem das Medium Nähe zum Leser zeigt. Gerade in Zeiten von Facebook und Twitter ist dies umso wichtiger.
„Professioneller Journalismus ist wichtig, um Standards für die öffentliche Kommunikation zu setzen. Ebenso muss sich der Nutzer bewusst sein, dass er als Kommunikator in die Öffentlichkeit tritt, sobald er beispielsweise auf Social Media Beiträge teilt oder kommentiert.“
Jörg Schneider, Associate Researcher fög, UZH
Das Medium soll nicht als unnahbare Organisation angesehen werden, sondern als Freund, der einem wichtige Informationen liefern kann. Der Experte gibt aber zu bedenken, dass es durchaus einen Unterschied zwischen Journalist und Nutzer geben muss. Der Journalist sollte weniger ein Freund, sondern ein vertrauenswürdiger Kommunikationsprofi sein. «Professioneller Journalismus ist wichtig, um Standards für die öffentliche Kommunikation zu setzen. Ebenso muss sich der Nutzer bewusst sein, dass er als Kommunikator in die Öffentlichkeit tritt, sobald er beispielsweise auf Social Media Beiträge teilt oder kommentiert», meint Jörg Schneider.
Zeit und Geld entscheiden
Zugenommen haben Beiträge, welche meinungsbetont sind, wie beispielsweise Kommentare oder Kolumnen. Dies ist grundsätzlich keine schlechte Entwicklung, wenn sie aber auf Kosten der Recherche geschieht, kann dies problematisch werden. Konkret bedeutet das: Während die Hintergrundberichterstattung abnimmt, nehmen die meinungsorientierten Formate zu. Eine solche Entwicklung ist mit Vorsicht zu geniessen, denn die Gefahr wächst, solche weniger ressourcenintensiven Meinungsformate zu fördern. Der hohe Ressourceneinsatz, welcher in einer klassischen journalistischen Recherche benötigt wird, kann durch die allgegenwärtigen Sparmassnahmen teilweise nicht mehr gewährleistet werden. Dies kann negative Auswirkungen haben, wenn es auf Kosten der Hintergrundberichterstattung geht. Auch Jörg Schneider stimmt dieser Aussage zu: «Es fehlen die Ressourcen!». Die Frage, welche sich die Medienbranche folglich stellen sollte, ist, wie können wir mehr Ressourcen in den Journalismus fliessen lassen? Zudem meint Schneider, dass es wichtig ist, ein Bewusstsein für Newsqualität zu schaffen. Eine Mischform, bei der man beispielsweise für einige Artikel zahlen muss, hingegen andere vom Service Public als Grundversorgung zur Verfügung gestellt werden, könnte sich der Experte in Zukunft gut vorstellen.
Vier aufklärerische Qualitätsansprüche an das öffentliche Räsonnement
I) Die Relevanz: Bürger sollen die allgemein relevanten Dinge debattieren
II) Die Universalität (Vielfalt): Wenn Vernunft regiert, müssen alle begründeten Meinungen zugelassen sein und kein Thema darf dem Zugriff der öffentlichen Debatte entzogen werden
III) Die Zugänglichkeit: Unabhängig von Stand und Herkunft soll die Öffentlichkeit für alle zugänglich sein
IV) Vernünftigkeit: Orientierung am Prinzip der sanften Gewalt des besseren Arguments (… und nicht der Polemik oder der «ad hominem»-Rede)
Diese Qualitätsansprüche an «gute» öffentliche Debatten sind gemäss fög immer noch gültig und bilden bis heute die Basis der demokratischen Ordnung moderner, zivilisierter Gesellschaften. (fög)
Sparen auf Kosten der Einordnung
Die Sparmassnahmen der Redaktionen machen sich also gerade in der Dimension der Einordnung bemerkbar. Das Kernproblem versteckt sich eben darin, dass man günstig zu Fake News kommt, während die tiefgründig recherchierten Angebote Geld kosten. Dank des Zusammenspiels verschiedener Dimensionen kann sich die Qualität der Schweizer Medien trotzdem einigermassen halten. Die journalistischen Ressourcen können schlussendlich als entscheidender Faktor für Qualitätsangebote angesehen werden. Daraus lässt sich ableiten, dass es äusserst wichtig ist, den Informationsjournalismus mit ausreichend finanziellem und personellem Kapital zu versorgen. Nur so kann der Informationsjournalismus seine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrnehmen.
Medienkompetenz- ein Schulfach fürs Leben
Das fög der Universität Zürich geht sogar noch einen Schritt weiter und möchte mit ihrem Projekt Newsup.ch mehr Medienkompetenz in der Schule unterrichten. Dazu hat sie ein neues Projekt für Oberstufenschüler und Gymnasiasten lanciert. Das fög stellt hierfür eine eigene Redaktion zusammen, die damit beauftragt ist, die Lehrerinnen und Lehrer mit entsprechenden Unterrichtsmaterialien zu versorgen. Sie sollen mit Hilfe der bereitgestellten Unterlagen in der Lage sein, den Schülern anhand anschaulicher Beispiele den Unterschied zwischen Fake News und journalistischen Informationen zu erklären. «Angesichts der neuen Medien und der damit einhergehenden Informationsfülle brauchen aber nicht nur die Jungen, sondern alle Nutzerinnen und Nutzer Medienkompetenz», meint Jörg Schneider. Auf diese Weise wären die Nutzer selbst in der Lage, Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
„Angesichts der neuen Medien und der damit einhergehenden Informationsfülle brauchen aber nicht nur die Jungen, sondern alle Nutzerinnen und Nutzer Medienkompetenz.“
Jörg Schneider, Associate Researcher fög, UZH
Mit diesem Projekt will das fög seine Forschungsergebnisse vermehrt mit der interessierten Öffentlichkeit teilen und es dieser zugänglich machen. Vor allem aber sollen die jungen Menschen damit erreicht werden. Die Jugendlichen von heute sind mit ihrer generationsspezifischen Mediennutzung aufgewachsen, sie informieren sich nicht mehr mit Hilfe von TV und Zeitungen, sondern mehrheitlich über Newssites, Blogs oder Social Media. Die Gefahr auf Social Media ist, dass man nur eingeschränkte, gefilterte Informationen erhält. Auf diese Weise wird die Berichterstattung sehr einseitig.
Echte News von Falschen unterscheiden
Die Jugendlichen sollen ihr eigenes Nutzungsverhalten hinterfragen, Kenntnisse über unser Mediensystem sammeln, Quellen verifizieren, Informationen einordnen, um sich so eine fundierte Meinung zu bilden. Konkret kann dies unter dem Begriff «Medienkompetenz» zusammengefasst werden. Das fög will den Jugendlichen ausserdem näherbringen, dass es ihnen Vorteile bringt, gut informiert zu sein. Die einerseits vom Newsjournalismus abgewendeten und andererseits von den veralteten Newsformaten nicht mehr erreichten jungen Menschen, welche zwischen den 16- bis 19- Jährigen ungefähr 56% ausmachen, sollen wieder ein Verständnis für den Mehrwert und die Wichtigkeit von solchen Angeboten erlernen. So, dass sie in Zeiten der Informationsflut betreffend des Coronavirus selbst herausfinden können, welche Informationen nun mit grosser Wahrscheinlichkeit Fake News sind und welche nicht.
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