Wer sagt, dass es wirkt?

Die moderne Medizin hält eine Vielzahl an Therapien und Präventionsmassnahmen bereit. Doch wer bestimmt eigentlich, was wirkt? Die beiden Informationsspezialistinnen Doris Kopp und Beatrice Minder vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern geben Einblick, wie mit Forschung grösstmögliche Gewissheit, sogenannte Evidenz, hergestellt wird.

Tanya Karrer | 15.01.2020

Künstlerische Darstellung eines DNA-Strangs von Arek Socha auf Pixabay

Wer einen Blick auf die Computer von Doris Kopp und Beatrice Minder im Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) an der Universität Bern wirft, dem wird leicht schwindelig. Endlose, komplizierte Such-Stränge ziehen sich über ihre Bildschirme. In medizinischen Datenbanken, wie zum Beispiel PubMed, suchen die beiden Expert Searchers in rund 30 Millionen Einträgen nach den „richtigen Nadeln im Heuhaufen“, wie Kopp sagt. „Dafür benötigen wir ausgeklügelte Suchstrategien“, ergänzt ihre Kollegin Minder. Datenbanken? Was ist mit Labor und Petrischale? Kopp lacht. Ja, auch sie habe vor über zehn Jahren, als sie als Bibliothekarin ans Institut kam, nach dem Labor gefragt. Heute weiss sie, dass Forschung nicht nur in der Petrischale stattfindet.

„Informations-Spezialistinnen tragen mit ihren Datenbank-Suchen massgebend zum Gelingen einer Forschungsarbeit bei.“ Doris Kopp

Desktop-Forschung nennt sie diese andere Art der Wissenschaft. Sie finde nicht direkt am Patienten statt, sondern basiere auf bereits getätigten Studien oder anonymisierten Patientendaten. In sogenannten systematischen Übersichtsarbeiten, englisch: Systematic Reviews, werden mehrere klinische Studien zu einem Thema miteinander verglichen und ein Trend daraus herausgelesen. Dies ergibt im besten Fall die Evidenz, sagt also, was – nach dem heutigen Kenntnisstand – wirkt oder nicht. Oder was noch weiterer Forschung bedarf.

D. Kopp & B. Minder, Informationsspezialistinnen am ISPM

Evidenzforschung ist Teamarbeit

Wie gelangt man zu dieser Evidenz? Minder erklärt den Ablauf folgendermassen: „Zuerst formulieren die Forschenden eine Frage. Sie müssen genau wissen, was das Ziel ihrer Forschung sein soll. Auf Basis dieser Forschungsfrage suchen wir dann weltweit nach relevanter Literatur zum Thema“. Ein grosser Teil davon ist in Datenbanken erfasst. Nach internationalen Standards formulieren Kopp und Minder die Such-Anfrage. Laien können sich das als sehr komplizierte Google-Suche vorstellen: Verschiedene Suchbegriffe werden mit den Booleschen Operatoren AND, OR, NOT und anderen verbunden und eingegeben. Ist die Suche gut, spuckt die Datenbank Studien zum gewollten Forschungsthema aus. „Wir finden vielleicht zwanzig passende Studien. Die Forschenden prüfen diese anschliessend auf ihre Qualität und Resultate. Zum Beispiel bestätigen zwei davon, dass die untersuchte Therapie wirke, in achtzehn jedoch wurde keine Wirkung festgestellt“, erklärt Kopp den Prozess. Bevor man nun aber sagen kann, die Therapie wirke nicht, kommt die Statistik bzw. kommen die Statistiker ins Spiel. Sie berechnen unter anderem, wie viele Personen an den Studien teilnahmen und gewichten die Resultate entsprechend. Erst dann lässt sich eine belastbare Aussage zur Evidenz oder eben Wirksamkeit einer Therapie oder Massnahme machen.

Beispiel eines Suchstrangs. WIBLO mit Material UniBe

Forschung muss nachvollziehbar, transparent und wiederholbar sein

Informationsspezialistinnen tragen mit ihren Datenbank-Suchen massgebend zum Gelingen einer Forschungsarbeit bei. Kopp freut sich daher, dass sie und ihre Kollegin seit kurzem in den veröffentlichten Studienberichten auch als Co-Autorinnen aufgeführt würden. Ihre Methoden für die Datenbank-Suche müssen jeweils für andere Forscher und Forscherinnen rund um den Globus nachvollziehbar, transparent und wiederholbar sein. Deshalb ist der Such-Strang auch in jeder systematischen Übersichtsarbeit aufgeführt.

Infobox Begriffe
Evidenz: „(…) unmittelbare und vollständige Einsichtigkeit, Deutlichkeit, Gewissheit (Duden)
Boolescher Operator: Ein boolescher Operator ist ein logischer Operator. Also ein Operator, der auf Wahrheitswerten operiert.
Er ist benannt nach George Boole. Der wichtigste Anwendungsbereich der booleschen Operatoren ist die Programmierung. (Wikipedia)

„Erst als die Forschung eine Evidenz für die Missbildung durch Contergan aufzeigen konnte, griffen die Behörden durch und verboten das Medikament.“ Beatrice Minder

Studie gut, alles gut? Nicht ganz. Minder gibt zu bedenken, dass es oft ziemlich lange dauern würde, bis Forschungsresultate auch im Alltag, z.B. in Spitälern oder Arztpraxen, zur Anwendung kämen. „Oft liegt es daran, dass die Evidenzlage nicht klar ist oder es noch Lücken in der Forschung gibt“, meint sie. Als Beispiel nennt Minder das Beruhigungsmittel Contergan, das in den 1960er Jahren zu Missbildungen bei Neugeborenen führte und einen Skandal auslöste. „Erst als die Forschung eine Evidenz für die Missbildung durch Contergan aufzeigen konnte, griffen die Behörden durch und verboten das Medikament“, ergänzt sie.

Infobox ISPM Universität Bern
Das Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern ist zugleich eine wissenschaftliche sowie akademische Organisation mit Mitarbeitern aus 23 verschiedenen Nationen. Es führt interdisziplinäre Forschung in den Bereichen Sozial- und Verhaltensgesundheit, klinische Epidemiologie, Biostatistik und Umweltgesundheit durch. Link zum Vorstellungsvideo

Als Mutter zweier Teenager-Mädchen fragt sie sich heute, ob es für die Sicherheit der HPV-Impfung schon genügend Evidenz gebe. Antworten fand sie beim unabhängigen Forschungsnetzwerk Cochrane, das sich ganz der Evidenz verschrieben hat. Es sieht gut aus für die HPV-Impfung.

Eine systematische Übersichtsarbeit gilt zum heutigen Standpunkt als Studiendesign der Wahl um einschätzen zu können, welche Therapie wirkt oder nicht. Mit ihrer Suche nach den verlässlichsten Studien, tragen die Informations-Spezialistinnen Doris Kopp und Beatrice sowohl zur Behandlungssicherheit bei Patienten als auch zu einem allgemein besseren Gesundheitswissen bei.

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Autorin

Tanya Karrer

Expertinnen UniBe

Doris Kopp & Beatrice Minder

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